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„Bewährungsprobe für rot-grün kommt erst“

■ Aktuelle Stunde im Abgeordnetenhaus zu den heutigen Finanzverhandlungen des Senats in Bonn / Momper will zusätzlich 785 Millionen vom Bund / CDU fordert Kurskorrektur der rot-grünen Politik / AL wehrt sich gegen „Ausspielen“ von Ausländern und DDR-Bürgern

In einem waren sich die Fraktionen des Abgeordnetenhauses gestern einig. Bonn muß zahlen. Die zusätzlichen Aufgaben und Schwierigkeiten, die auf die Stadt zukommen, könne Berlin mit seinen bisherigen Finanzmitteln nicht lösen. Doch da hörte der Konsens auch auf. Der CDU-Oppositionsführer Diepgen knüpft die Solidarität Bonns mit Berlin an Bedingungen. Eine „Kurskorrektur“ sei nötig, sagte Diepgen und warf dem Senat während der aktuellen Stunde zum Thema „Solidarität des Bundes mit Berlin“ vor, Berlin „metropolenunfähig“ zu machen. Sein politisches Ziel ist klar: „Berlin muß wieder die deutsche Hauptstadt sein“. An die Adresse von Umweltsenatorin Schreyer sagte Diepgen, man könne jetzt die Politik in der Stadt nicht mehr von der Perspektive des Fußgängers aus betrachten, meinte und forderte den Ausbau des Straßennetzes, insbesondere eine Nord-Süd-Verbindung.

Der Fraktionsgeschäftsführer der SPD, Kern, verwahrte sich gegen die CDU-Forderung nach „politischem Wohlverhalten“ als Vorbedingung. Die 785 Millionen zusätzlicher Mittel, die der Regierende Bürgermeister heute in Bonn erbittet, seien für die Menschen in der Stadt und nicht für die Politik. Die politische Haltung der CDU entspreche der einer „Bananenrepublik“, nicht der einer Demokratie. Kohl habe schnelle Hilfe versprochen, nun werde sich zeigen, ob den Worten auch Taten folgen. Der AL-Abgeordnete Berger wies darauf hin, daß Berlin nicht als Bittsteller nach Bonn komme. Man könne jetzt „sinnlose und überflüssige Projekte“ zurückzustellen. Allein durch den Stopp des Autobahnbaus spare Bonn 500 Millionen.

Zu heftigem Protest von SPD und Alternativer Liste führte Diepgens Äußerung, der Senat errichte mit seiner Entscheidung, nur noch Verwandte ersten Grades in West -Berlin aufzunehmen und andere Übersiedler an die BRD weiterzuleiten, eine zusätzliche „Mauer“ in der Stadt. Man könne nicht Ausländer mit offenen Armen aufnehmen und Menschen aus Ost-Berlin abweisen. Der AL-Abgeordnete Berger wies dies „Ausspielen“ von Ausländern und DDR-Bürgern im Namen seiner Fraktion zurück. Für die SPD nannte Kern diese Haltung der CDU „zynisch“.

Der Regierende Bürgermeister, wegen seiner langen, in weiten Teilen einer Regierungserklärung gleichenden Rede, von der Parlamentspräsidentin Brinkmeier gerügt, schlug vor, die Berlin-Hilfe über die Kürzung des Rüstungshaushaltes zu finanzieren. Momper betonte erneut, die deutsche Frage bleibe offen. Er sprach sich gegen „starre Zukunftsmodelle“ aus. Man müsse zuhören, was die DDR-Oppositionsbewegung zu sagen habe. Der Stufenplan des Kanzlers weise trotz allem Positiven eine „gefährliche Zwiespältigkeit“ auf, da er das Endziel Wiedervereinigung beinhalte. Damit sei Versuchen, diese vernünftigen Vorschläge für „großdeutsche Ziele“ zu mißbrachen Tür und Tor geöffnet. Momper betonte die Wichtigkeit praktischer Hilfe. „Wohlstandschauvinismus“ sei das Letzte, was jetzt angebracht sei. Der „aufrechte Gang“ der Oppositionsbewegung könne auch in den Westen überschwappen, sagte Momper und wies darauf hin, daß sozialer Fortschritt, Umweltschutz und gerechte Wohnraumversorgung Ziele seien, für die auch im Westen gekämpft werden müsse. Die neuen Verhältnisse in der DDR dürften kein „Einfallstor“ für unsoziale und umweltfeindliche Politik sein. Momper wörtlich: „Die Bewährungsprobe für die rot-grüne Politik für eine offene Großstadt kommt erst.“

bf

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