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Die Verwechslung von Frau und Familie

■ Die SPD veranstaltete einen Fachkongreß zur Frauen- und Familienpolitik, wo Radikales zur Veränderung der Geschlechterrollen nicht gefragt war / „Wohl der Familie“ und Rentensicherung im Mittelpunkt / Der gespaltene Arbeitsmarkt wird nur modernisiert

Carola Schewe

Ich habe in diesen Tagen viele Frauen aus ihrem Leben erzählen hören, allesamt außergewöhnliche Frauen, aufgewachsen in irgendwie außergewöhnlichen Familienverhältnissen: ein Großvater, der sich freinahm für die große Wäsche (Inge Wettig-Danielmeier, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, AsF), ein Ehemann, der zeitweise als Hausmann arbeitete (Renate Schmidt, stellvertretende Vorsitzende der SPD -Bundestagsfraktion), fünf Kinder, die der Mutter dennoch Zeit ließen, ihren „Doktor zu bauen“, wenn auch nur fast (Christine von Weizsäcker, Hausfrau und Publizistin) und so weiter. - Ich war auf einem programmatischen Fachkongreß der SPD. Es ging um hohe Politik.

Es ging, genauer gesagt, um Familien-, Frauen- und Arbeitspolitik: „Ist das ein Traum? Familie und Beruf für Männer und Frauen“. Die SPD arbeitet an einem Wahlprogramm für die nächste Legislaturperiode; das wird im Dezember in Berlin diskutiert und im März nächsten Jahres verabschiedet. Der Kongreß in Königswinter am 23./24. November diente der Kritik eines Entwurfes.

Geladen waren VertreterInnen von Familienverbänden, Hausfrauenvereinigungen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden, Gleichstellungsstellen und SPD-Basis. Die Basis war schwach vertreten, kirchliche Familienverbände um so stärker. Auf dem Podium der Abschlußveranstaltung saß als einzige „Grüne“ Gisela Erler, eine der Autorinnen des umstrittenen Müttermanifestes. Autonome Feministinnen waren für Podien nicht geladen und traten in Gesprächen nicht in Erscheinung.

So konnte sich von Beginn an eine gemütliche Einmütigkeit breitmachen, eine Aura von Verständnis und Toleranz. Mit viel fachlicher Kompetenz konnte über Detailfragen geredet, selten gestritten werden. Es ging nicht um Ideologie, es ging um das Wohl der Frauen und der Familien. Oder?! Die Rentenfrage

Dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Familienverbände, dem evangelischen Professor Siegfried Keil, lag wie den meisten TeilnehmerInnen die schlechte wirtschaftliche Lage der Familien am Herzen. Er rechnete vor: 74 Prozent aller sozialen Leistungen werden von den Familien erbracht. Aber die finanzielle Belastung von Familien mit Kindern wird höchstens zur Hälfte von der öffentlichen Hand ausgeglichen. Viele Arbeiterhaushalte bekommen sogar nur 16 Prozent der „Mindestkinderkosten“ über den Familienlastenausgleich zurück. Familienlastenausgleich ist ein Sammelbegriff für alle steuerlichen Vergünstigungen, alle direkten Zahlungen und indirekten Erleichterungen, die Familien zugute kommen.

Die Höhe dieses Ausgleichs in der nächsten Legislaturperiode bestimmte die Diskussion maßgeblich. Die SPD-Vorhaben (siehe Kasten) wurden mehrheitlich begrüßt, aber als nicht ausreichend erachtet. Die angebotenen 200 Mark Kindergeld etwa decken mal eben ein Drittel der realen Kosten ab. Renate Schmidt fand das richtig; einen vollen Familienlastenausgleich wird es nach dem Willen der SPD nicht geben. Wer sich ein Kind wünscht, soll auch in Zukunft dafür bezahlen.

Das leise Murren, das sich bei diesen Worten erhob, schwoll in den Foren zum lautstarken Eifern an. Wer die Familie mit Mitleid bedenke, beachte die Vorleistungen nicht, die sie für die Gesellschaft erbringe. Wer sorge denn für die späteren Renten? Na? „Unsere Kinder werden auch diejenigen unterhalten, die Zeit ihres Lebens gar nichts für den Generationenvertrag getan haben!“ So Alfred Rollinger, Vizepräsident des Sozialgerichts Trier. Feindbild Singles

Damit war das Feindbild klar. Die Guten sind die Mütter und die Frauen, die ihre alten (Schwieger-)Eltern pflegen. Die Schlechten finden sich in jenem Drittel der Bevölkerung, das in seinem ganzen Leben kein einziges Kind bekommt. Diese Singles und kinderlosen Ehepaare leben in Saus und Braus, haben keine Probleme bei der Wohnungssuche, der Karriere, der Hausarbeit... niemand sprach es aus, aber das Wort lag in der Luft: Schmarotzer!

Brigitte Stolz-Willig vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut des DGBs war eine der wenigen, die daran erinnerten, daß es ja so etwas wie die Klassenfrage gebe: „Ein Arbeiterhaushalt mit einem Kind steht immer noch schlechter da als eine Akademikerfamilie mit vier Kindern.“ Und sie verlangte eine andere Art der Kostenverteilung, denn: „Die Umverteilung zwischen den Geschlechtern wird überhaupt nicht mehr thematisiert.“ Die eine oder andere Frauenbeauftragte monierte dann noch das Gleichsetzen von „Verbesserungen für Familien“ mit „Verbesserungen für Frauen“. Ingrid Wawrzyniak vom Frauenbüro Hattingen: Die Frau, die Erziehungsurlaub nimmt, koche und putze in dieser Zeit nicht nur fürs Baby, sondern auch für ihren Mann. Perspektivische Politik

Aber solche Stimmen blieben isoliert, womit die veranstaltende SPD wohl ganz zufrieden war. Was sie direkt zur Veränderung der Geschlechterrollen in ihr Wahlprogramm schreiben will, scheint nämlich recht dünn.

Zum Beispiel: Wenn die Hälfte des Erziehungsurlaubs ersatzlos wegfällt, falls der Vater ihn nicht nimmt - nur dann ist ein emanzipatorischer Effekt zu erwarten. Die AsF macht sich seit langem dafür stark. Ob diese Position aber inzwischen parteiintern mehrheitsfähig ist, wurde auf dem Kongreß nicht klar.

Oder die Kinderbetreuungseinrichtungen: Die SozialdemokratInnen engagierten sich für einen Rechtsanspruch auf Kindergartenerziehung. Zusammen mit einem dreijährigen Erziehungsurlaub ist das eine ideale Sache für Hausfrauen. Berufstätige dagegen brauchen ein durchgehendes Angebot für Kinder von 0 bis 16 Jahren.

Oder: Nur ein Erziehungsgeld mit Lohnersatzfunktion - also so hoch, daß frau davon leben kann - macht Frauen unabhängig und kann Ehemänner reizen, fürs Kind zu Hause zu bleiben. Aber das sei vorläufig zu teuer, sagte Renate Schmidt. „Perspektivisch“ müsse man natürlich daran denken.

Überhaupt tauchte das nichtssagende Wort „perspektivisch“ auffällig oft bei gesetzlichen Vorhaben auf, die Frauen gesellschaftlich wirklich ein Stück voranbrächten. „Perspektivisch“ mehr Ganztagsschulen, „perspektivisch“ hin zur 30-Stunden-Woche. Lob der Teilzeitarbeit

Statt dessen will die SPD einen Anspruch auf Umwandlung von Vollzeit- in Teilzeitarbeit für Eltern mit anschließender Rückwandlungsgarantie rechtlich verankern. Renate Schmidt begründete das vom Podium herab auf verständnisheischende Art, quasi von Frau zu Frau: Auch ihr sei manchmal alles zu viel geworden, drei Kinder und der Beruf, Hausmann hin, Hausmann her. Sie brauchte eben auch mal Zeit für sich, für die Kinder, sie hätte soviel verpaßt... Und da helfe eben nur Teilzeitarbeit. Gepfiffen wurde nicht an dieser Stelle, aber es hagelte Wortmeldungen von gewerkschaftlicher Seite. „Wenn schon Teilzeitarbeit, dann müssen wir davon leben können!“ rief Britta Naumann, stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Für Brigitte Stolz-Willig zeigte sich darin lediglich „Modernisierung des gespaltenen Arbeitsmarktes“: „Nirgendwo wird hier über eine Strategie zum Aufbrechen der geschlechtsspezifischen Strukturen nachgedacht.“ Teilzeitarbeit zementiert das Rollenverhalten“, erkannte auch Saarbrückens Frauenbeauftragte Ilona Caroli.

Es stellt sich die Frage, ob diese Kritik den führenden SozialdemokratInnen nicht ziemlich egal ist. Denn was ist von SPD-PolitikerInnen zu halten, die ihrer Zielvorstellung „Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie die alte Zielvorstellung der CDU von der „Wahlfreiheit“ hinzufügen? „Vereinbarkeit“ meint die parallele Verwirklichung beider Lebensinhalte - eben auch für Männer.

Mit „Wahlfreiheit“ ist implizit die Entscheidung der Frauen zwischen Hausfrauendasein und Karriere gemeint; Männer werden davon nicht angesprochen, Alleinerziehende auch nicht. Jetzt brachte es Renate Schmidt fertig, beide Begriffe immer wieder mit dem Wörtchen „und“ zu verbinden, als wären sie nicht widersprüchlich.

Auch der Titel des Kongresses vermied sorgfältig die Benennung eines politischen Ziels - wohl um die geladenen Konservativen nicht zu verschrecken.

Es geht der SPD jetzt nicht mehr um Ideologie. Es geht um Macht und Mehrheiten, jetzt, wo der Wahlsieg91 in greifbare Nähe rückt. Jetzt, wo Renate Schmidt Familienministerin werden will. Persönlich will ich den lieben Frauen gar nichts Böses unterstellen - jetzt, wo ich sie als so herzlich und lebendlig kennengelernt habe. Aber politisch.

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