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INTERVIEWS

■ Madeleine Chapsal: "Französische Schriftsteller intim"

Sie scheinen das Einfachste von der Welt: Man stellt den Recorder auf Empfang und die erste Frage dazu, und ab geht die Post. Schließlich, wer redet nicht gern über sich selbst? Und nun gar Autoren? Erfolgreiche noch dazu. Die sind nicht zu stoppen. Die verdienen einem das Zeilenhonorar im Geschwindschritt. So denkt der kleine Moritz sich das. Die Wirklichkeit sieht wie immer fast genauso, aber doch ganz anders aus.

Interviews sind entgegen dem landläufigen Glauben nicht so gut wie die Interviewten, sondern leider in den meisten Fällen so schlecht wie die Interviewer. Also fast immer überflüssig. Es gibt Ausnahmen. Die von Madeleine Chapsal gehören dazu. Es sind Interviews, die sie in zwanzig Jahren mit der Pariser Intelligenzija machte. Kunststücke. Die Gespräche werden eingeleitet von knappen Skizzen, die die Interviewten und ihre Arbeiten vorstellen. Extreme Scharfsichtigkeit und eine mitreißende freie Unbefangenheit des Urteils machen diese wenigen Seiten immer zu einem besonderen Vergnügen. Daß sie das Gouvernantenhafte der Simone de Beauvoir nicht mochte, daß sie Lacans autoritärem Charme erlag, all das liegt offen zutage, ohne sich vorzudrängen, macht aber die Optik deutlich, aus der die Gespräche geführt werden, erleichtert uns Lesern also, bei aller Identifikation mit dieser jungen, intelligenten, wißbegierigen, lebenshungrigen Frau, die Distanz, die uns erst die Möglichkeit eines eigenen Urteils gibt.

Sie sprach unter anderem mit Mauriac, Merleau-Ponty, Sartre, Bachelard, Sagan, Celine, Breton, Bataille, Prevert, Tzara, Malraux. Eines der schönsten ist das mit Jacques Lacan. Die Mischung aus High-Snobiety, Uniguru und genialem Psychiater ist mir nie so deutlich geworden wie in diesem Interview, wie vor allem in Chapsals knapper Charakteristik des Meisters. Daß er, wenn er ein Restaurant betrat, den Mantel fallen ließ in der Gewißheit, ein Ober werde ihm beispringen und das Stück davor bewahren, auf den Boden zu fallen, steht im schönsten Gegensatz zu der Angst eines der bundesrepublikanischen Mandarine, er könne einmal aus seinem Arbeitszimmer hinaustreten wollen und dahinter wäre nichts.

Chapsal spricht von der „Bewunderung“, die Lacan für Daniel Cohn-Bendit empfand: Er „reiste ihm nach, um ihn zu hören. In diesem respektlosen jungen Mann, der rationale Bindungen und erstarrte Begriffe sprengte, hatte Lacan, glaube ich, sein Alter Ego erkannt. Noch dazu war bei ihm die 'rote Mähne‘ echt! (...) In diese Seite Lacans war ich am meisten vernarrt: sein Hang zum Schauspieler und zum mondänen Leben, zu dieser permanenten Verkleidung...“ Ich müßte lügen, würde ich behaupten, ich hätte auch nur eine Seite von dem verstanden, was Lacan geschrieben hat, aber die Figur, die Chapsal zeichnet, hat mich wieder zu seinen hermetischen Schriften greifen lassen. Vielleicht werde ich diesmal schlauer. Dank Madeleine Chapsal. Dank auch dem Verleger, der das Buch nach Deutschland gebracht, und Dank Sabine Gruber, die das Buch hervorragend übersetzt hat. Beim Kauf darauf achten, daß der Errata-Zettel dabei ist, sonst wird man zwei Zeilen vermissen.

Madeleine Chapsal: Französische Schriftsteller intim. Matthes & Seitz, Übersetzung Sabine Gruber, 320 Seiten, Fotos, 39,80 DM

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