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Hoffnungen aus Moskau

■ Endlich nicht mehr auf der Stelle treten! / Vor allem auf ökonomischem Gebiet erwartet die UdSSR Entgegenkommen / Emigrationsbeschränkungen sind längst abgehakt

Am Mittwoch abend zeigten die sowjetischen Fernsehnachrichten gleich dreimal in einer Sendung die Spaziergänge des Ehepaars Gorbatschow in Rom. Das kleine Malta hatte die Presse dafür schon Anfang der Woche als Touristenattraktion und „historischen Ort großer Politik“ ausführlich gewürdigt. Die Initiative Präsident Bushs wird in Moskau als Ende des Auf-der-Stelle-Tretens in den Beziehungen zu Washington begrüßt. Fast alle Kommentatoren stimmen überein, daß die Entwicklung in Ostmitteleuropa das Konzept eines „Gipfels ohne Tagesordnung“ überholt hat.

Doch welches konkrete Ziel außer der „Information aus erster Hand“ könnten die Amerikaner bei diesem Treffen noch anstreben? Die Viefalt der Haltungen zur Sowjetunion, die allein aus dem amerikanischen Regierungslager an die Öffentlichkeit dringen, verwirrt hier. Will Washington vielleicht durchsetzen, „daß der Wind der Wandlungen über Osteuropa sich auch auf Kuba und Nicaragua erstreckt?“ fragt Stanislaw Kondraschow in der 'Selskaja Schisn‘.

Sehen die USA Gorbatschows Position angesichts der wachsenden politischen Instabilität in Ostmitteleuropa gefährdet? Wollen sie mit diesem entgegenkommenden Verhandlungspartner noch schnell vollendete Tatsachen schaffen, ehe in der Sowjetunion womöglich wieder die Herrschaft einer „eisernen Hand“ anbricht? Diesen Verdacht erwähnt immerhin der langjährige Washingtoner Korrespondent der 'Literaturnaja Gazeta‘, Vladimir Simonow. Daß die Perestroika für die Bush-Regierung heute eine Realität ist und nicht mehr nur das „rote Käppchen auf dem Wolfskopf“, führt er auf die jüngste politische Zurückhaltung Moskaus gegenüber den Bündnispartnern im Warschauer Pakt zurück.

Von Washington verspricht man sich vor allem auf ökonomischem Gebiet ein Entgegenkommen, daraus macht in Moskau niemand einen Hehl. Das finanzielle Ergebnis der USA -Reise Lech Walesas hat Eindruck gemacht. „Diese große Geste nährt sich von der Vermutung, daß Polen und Ungarn der Marktwirtschaft entgegenreifen - die Sowjetunion vermittelt offenbar keinerlei derartige Hoffnungen“, meint Simonow. Dennoch herrscht in Moskau die Meinung vor, daß man auch auf diesem Gebiet schrittweise Lösungen finden könnte.

Früher konnten die USA die Emigrationsbeschränkungen in der UDSSR noch als Begründung für ihre Handelsbeschränkungen bemühen. Heute bezeugten die Schlangen vor der amerikanischen Botschaft in Moskau, „daß die Klagen über Auswanderungsbeschränkungen eine neue Adresse gefunden haben“. Die Forderung nach einem neuen Gesetz für Ausreise und Auswanderung rennt längst offene Türen ein.

Barbara Kerneck, Moskau

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