: Pasolini in Afrika
■ Notizen für eine afrikanische Orestie, 23 Uhr West 3
Als Pier Paolo Pasolini 1968 nach Afrika ging, um die Verfilmung einer „afrikanischen Orestie“ frei nach Aischylos vorzubereiten, hatte er den Traum von einer Umwandlung der italienischen Gesellschaft durch das Subproletrariat der Vorstädte verloren. In den fünfziger Jahren war das anders.
Pasolini hatte 1949 das heimatliche Friaul verlassen, nachdem der dortige Pfarrer die Bekenntnisse eines Jugendlichen nutzte, um - unter Bruch des Beichtgeheimnisses - mit Hilfe der christdemokratischen Lokalpresse eine publizistische Hetzjagd gegen den 28jährigen Ortssekretär der Kommunistischen Partei zu betreiben. Da auch die Genossen dem Verfemten keinen Rückhalt boten, floh Pasolini in die Vorstädte Roms. Hier stieß er auf das nackte Elend des Proletariats, auf den Bodensatz der italienischen Gesellschaft.
Das Leiden dieser Menschen beschrieb er in dem religiös überfrachteten Spielfilm Accattone als Passion, an sie knüpfte er die Hoffnung auf eine neue, menschlichere Gesellschaft.
Um so enttäuschter wirkte auf ihn die Erkenntnis, daß die Armen alles andere im Sinn hatten als die Ablösung des maroden Bürgertums. Im Gegenteil erhofften sie nichts mehr, als aufzusteigen in das von Pasolini so verachtete Kleinbürgertum (dem er ja selbst entstammte) und teilzuhaben an den Freuden der Konsumgesellschaft.
Verbittert richtete Pasolini sein künstlerisches Interesse auf archaische Mythen und auf die Völker in der Dritten Welt, die sich im Übergangsstadium befanden zwischen Steinzeit und Moderne. In diesem Zusammenhang stand der Plan, die Geschichte Orests im Afrika des Jahres '68 anzusiedeln. Hier fand der Regisseur noch Bilder für seine visionen vom unschuldig-urzeitlichen Zusammenleben, hier meinte er auf die unverbildeten Menschen zu treffen, die er in Italien unter den Bauern Friauls und den Proletariern der römischen Vorstädte vergeblich gesucht hatte.
Zur Vorbereitung dieses Projektes reiste der Filmemacher und Autor nach Afrika, auf der Suche nach Motiven, Schauplätzen, Figuren. Diese Arbeit, zugleich eine Überprüfung des eigenen Standorts und eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Schaffen, dokumentierte Pasolini mit der 16-mm-Kamera. Während die afrikanische Orestie als Spielfilm nie zustande kam, arrangierte Pasolini das gesammelte Material zu einem Dokumentarfilm mit dem Titel „Notizen für eine afrikanische Orestie“.
Da stehen Spielszenen neben Landschaftsaufnahmen, die Kamera studiert Gesichter möglicher Darsteller, und daheim in Rom diskutiert der Regisseur mit einigen Studenten afrikanischer Herkunft über sein Konzept. Pasolini selbst wiederum kommentiert die Bilder, womit er einerseits eine Annäherung an seine Arbeitsweise erlaubt und andererseits eine Vorstellung vom aufgegebenen Projektes ermöglicht.
Gleichzeitig vermittelt der Film eine Ahnung, warum Pasolini sein Konzept aufgab, klassische Mythen zu aktualisieren und im Afrika seiner Zeit anzusiedeln, warum er sich im folgenden Film („Medea„; 1969) mit der Bebilderung der antiken Vorlage begnügte.
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