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Deutsch-deutsche Ökobewegung: Warum schweigt die Umweltbewegung

Warum schweigt die Umweltbewegung?

Eine, in der deutschen Geschichte ziemlich einmalige, Volksbewegung hat mit ihren Forderungen nach Reise-, Rede und Pressefreiheit, nach Demokratie und Mitbestimmung und mit ihrer Forderung nach Beendigung der institutionalisierten Unfähigkeit eine scheinbar unanfechtbare SED an den Rand der Selbstauflösung gebracht. Die umfassende Umgestaltung der Gesellschaft der DDR steht auf dem Programm. Die neu gewonnenen Freiheiten bedeuten auch für die Umweltgruppen in der DDR neue Möglichkeiten der Thematisierung der Umweltkrise. Zu recht fühlt sich die Umweltbewegung in der BRD aufgefordert, ihnen hilfreich unter die Arme zu greifen, um dadurch einen Beitrag zur Ökologisierung der DDR-Wirtschaft zu leisten.

Diesen gewaltigen Veränderungen, deren Symbol die offenen Grenzen sind, stehen jedoch auch Entwicklungen gegenüber, die eine Gefahr für die zarten Pflänzchen einer DDR -Umweltbewegung darstellen - und diese kommen von hier!

1. Die offenen Grenzen haben die Wiedervereinigung zum Tagesthema gemacht. Nationalistische Kreise nutzen den Wunsch der Bevölkerung in beiden deutschen Staaten, ihre Trennung zu überwinden aus, um Phantasien eines neuen Deutschen Reiches zu verbreiten. Wiedervereinigung heißt dann, die DDR zu schlucken und sie zu einer „innerdeutschen Kolonie“ zu machen. Nebenbei kann das Gedenken an das Dritte Reich, dessen Resultat ja die Spaltung war, weiter aus dem Bewußtsein verdrängt werden.

2. Das Scheitern der SED und der real existierenden Planwirtschaft wird als Beweis für die Überlegenheit des privatwirtschaftlichen Marktsystems gewertet. Gesellschaftsreform in der DDR wird daher mit blinder Übernahme unseres Wirtschaftssystems gleichgesetzt. Kanzler Kohl hat sich diesbezüglich schon recht klar ausgedrückt.

Von derartigen Tendenzen geht eine im mindesten so große Gefahr für die Umweltbewegung der DDR aus wie von der SED.

Die Übernahme unserer Wirtschaftsprinzipien mag zwar die Wirtschaft der DDR zu modernisieren und viele eklatante Umweltverschmutzungen verringern (zum Beispiel durch Entschwefelung), aber es bedeutet auch: mehr Straßen, mehr Autos, mehr Flugplätze, Center Parcs in Brandenburg statt in Bispingen etc., und überhaupt: mehr Konsumismus, Produktion um des Profits willen, die Fortschreibung der Mythen vom technischen Fortschritt und ewigen Wachstums. Die Großkonzerne stehen schon bereit, sicher nicht um in der DDR eine umwelt- und menschenverträgliche Wirtschaft aufzubauen. Die Chance einer wirklich tiefgreifenden Umorientierung des Gesellschaftskonzeptes wäre vertan - jede/r ökologisch Engagierte weiß, wie schwer es ist, sich gegen die Profitinteressen einzelner durchzusetzen.

Solidarität mit der Umweltbewegung der DDR bedeutet daher unter anderem auch, sie vor dem Ausverkauf durch bundesdeutsche Großkonzerne und die Bevölkerung (aber auch uns) vor nationalistischen Wiedervereinigungsgelüsten zu bewahren. Die Reformbewegung in der DDR braucht jetzt Zeit, einen eigenen Weg zu finden, Zeit, die wir ihnen helfen müssen zu geben.

Für die Umweltbewegung in der BRD heißt das, endlich ihr Schweigen zu brechen und Stellung zu beziehen.

Warum schweigt sie, wenn Kanzler Kohl ganz unverhohlen die Unterstützung der DDR-Wirtschaft von Einführung des Kapitalismus abhängig macht - anstatt öffentlich aufzuschreien?

Warum schweigt die Umweltbewegung, wenn sich nationalistische Kreise daran machen, die Wiedergeburt der Weltmacht Deutschland zu profezeien - macht Euch das keine Angst?

Warum überläßt die Umweltbewegung jenen das Feld, die nicht unsere Ziele, sondern ganz andere verfolgen?

Die Reformbewegung in der DDR hat ein Recht auf Schutz aber vor uns!

Wilfried Schwetz, Hannover 91

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