: Traummaschine-Maschinentraum
■ „Die Erfindung der Freiheit“ hat heute bei Shakespeares Premiere / Gespräch mit Regisseur/Autor Pit Holzwarth
taz: „Die Erfindung der Freiheit - oder kann denn Fliegen Sünde sein“ ist der volle Titel des Stücks. Was ist denn sündig?
Pit Holzwarth: Das Stück geht über den Traum vom Fliegen. Real: 1783 ist in Frankreich der erste Mensch geflogen. Mit einem Gerät, das denkbar einfach zu konstruieren ist, nämlich mit dem Heißluftballon. Da ging ein uralter Menschheitstraum in Erfüllung, und wir meinen: kein Zufall, daß es vor der französischen Revolution gewesen ist. Es geht um die Verbindung von Fliegen, Aufstieg und Revolution. Da ist ein technisches Zeitalter angebrochen. Der Ballon hat ja eine ganz starke utopische Qualität, heute noch, weil er eben nicht verwertbar geworden ist. Weil er immer noch den Winden ausgeliefert ist. Und wir benutzen diese Ballon -Metapher und zeigen, daß mit der Erfindung sofort versucht wird, auch die Verwertbarkeit herzustellen. Sei es ökonomischer oder militärischer Natur. Das ist die Qualität der Traum-Metapher: eine Traummaschine zu sein und ein Maschinentraum. Wir zeigen die Spannweite vom Mythos „Fliegenkönnen“ bis zum größten Vernichtungspotential.
Du hast vieles selbst geschrieben?
Ich habe einen Großteil geschrieben, und ein Großteil wurde mit dem Ensemble zusammen erarbeitet. Es sind viele historische Texte dabei, ganz wild gemischt, im Programmheft danken wir Heiner Müller bis Rousseau. Das Stück hat aber eine eigene Geschichte. Es geht um mehrere Hauptfiguren, z.B. um einen der ersten Flieger, ein ausgetüftelter Techniker ud Spinner, der hat schon 1782 behauptet, er könne fliegen. Später hat der den großen Wurf gemacht: Er hat die erste Kanalüberquerung gestartet. Anhand dieser Figur wird der Traum vom Fliegen erzählt. In seinem Fliegen über das Land hat er einen völlig neuen Blick von oben.
Wie bist du aufs Fliegen gekommen?
Für mich ist das aus der Beschäftigung damit entstanden, daß kurz vor der französischen Revolution die Alpenbesteigungen stattfinden, daß versucht wird, den Überblick zu gewinnen, sich ein neuer wissenschaftlicher Blick etabliert. Und da sieht dieser Flieger eben zum ersten Mal das Panorama dieses Landes. Und er macht zusammen mit seiner Frau ein ganz großes Unternehmen daraus, macht Flug-Shows, wirft
Hündchen ab, springt selber ab. Es wird ein großes Jahrmarktsspektakel. Dann gibt es da einen Kaufmann, der versucht, ihn dazu zu bringen, Kakao zum König zu transportieren. Und es ist historisch überliefert, daß der König unheimlich Schiß hatte, überflogen zu werden, daß jemand über ihm ist. Es gibt einen Adligen, der hat die Vision des Maschinenzeitalters, es gibt das Volk, das einen Brief zum König transportieren lassen will mit der Luftmaschine, um die Situation zu ändern. Es ist auch ein Mönch dabei, weil auch die Mönche zum Fliegen beigetragen haben, wofür sie verfolgt wurden. Der Himmel war ja traditionelles Gebiet der Kirche. Und das Vernünftigwerden der Welt hat ganz stark mit der Eroberung des Himmels zu tun. Die „Luftschwimmekunst“ - die
Ballonfahrer hießen ja auch Kapitäne - hat man als philosophische Disziplin betrachtet, Leute wie Rousseau haben da vorgearbeitet, Lichtenberg, Goethe, Jean Paul.
Fliegen als dankbares oder schwieriges Thema?
Ich habe mich lange mit Industrialisierung, mit allen Arten von Transportmitteln beschäftigt. Und da fand ich den Ballon halt toll, weil - die Dampfmaschine und die späteren Fortbewegungsmittel haben nicht mehr die utopische Kraft. Das Stück soll was über heute aussagen, warum Technik letztendlich so überzeugend ist - und da ist der Ballon ein total geeignetes Bild dafür.
Gab es Schwierigkeiten bei der Umsetzung?
Erstmal: Ein ganzes Stück zu schreiben ist ein ziemlicher Hammer. Also ich habe einen Vorent
wurf gemacht, und nachher gab es dann Improvisationen. Wir haben über ganz spezielle Trainingsformen gearbeitet. Wir haben uns beispielsweise abends getroffen, und dann saßen nicht wir da, sondern jeder hat seine Figur vertreten. Es sind 8-10 Hauptfiguren, insgesamt über 20, und das ist von den Geschichten, die zu erzählen sind, eine ganze Menge. Das sind sozusagen zehn musikalische Themen, die man durchführen muß.
Was bedeutet Fliegen für dich persönlich?
Ich hab's nicht geschafft, mit einer Montgolfiere zu fliegen. Das hat leider nicht geklappt. Und es ist irre im Lauf des Lesens zum Thema, daß die ganzen Poeten, die sich wahnsinnig damit beschäftigt haben, nie geflogen sind.
Interview: Claudia Kohlhase
Premiere 19.30. Nächste Vorstellungen 8/9/15/29.12. Für 15.und 29. noch genügend Karten.
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