: In Selbstgefälligkeit versackt
■ Enttäuschende DGB-Jugendkonferenz / Keine Diskussion über die neue Situation in Europa / Traditionslinke trauert alten Gewißheiten nach / Selbstkritische Töne nur zum Umgang mit Rechtsradikalismus
Berlin (taz) - „Wir wollen: Europa - grenzenlos sozial, offen, vielfältig, multikulturell“, dieses Motto der 13. Bundesjugendkonferenz des DGB, die gestern zu Ende ging, hatte nichts mit der Wirklichkeit in der Berliner Kongresshalle zu tun - hier beschäftigte sich die Gewerkschaftsjugend fast ausschließlich und verbissen mit sich selbst. Daran konnte auch der Appell des DGB -Vorsitzenden Ernst Breit, in Zukunft das Thema Europa zum Mittelpunkt der gewerkschaftlichen Jugendarbeit zu machen, nichts ändern. Weder über die aktuelle Entwicklung in der DDR noch über den Europäischen Binnenmarkt wurde diskutiert, statt dessen Anträge verabschiedet und abgehakt.
„Grenzenlos selbstgefällig“ wäre eigentlich das richtige Motto für diese Konferenz, sagte ein Delegierter der ÖTV, der sich selbst als „fassungslosen Zuhörer“ bezeichnete. Er traf damit präzise das Klima des Antragsverabschiedungsrituals, das geprägt war von bornierter Machtpolitik. Die Gräben in der Gewerkschaftsjugend sind wie immer tief. Die dogmatische, traditionslinke Strömung, die auf der Konferenz die Mehrheit hatte, empfand es als störend, wenn an alten Gewißheiten gerüttelt wurde. Ein Antrag, in dem Wertewandel, Individualisierung und die Herauslösung aus traditionellen proletarischen Lebenszusammenhängen der Jugendlichen analysiert wurde und der zum Überdenken der alten Antworten auf die Probleme der Jugendlichen und zu Offenheit und Toleranz aufforderte, wurde mit zynischen, platten Sprüchen bedacht: „Ich hab Schwierigkeiten mit dem Antrag, weil da nicht drinsteht, was wir konkret machen sollen“, oder: „Die Antworten, die wir seit Jahren haben, sind nicht falsch, es geht nur darum, wie wir sie durchsetzen können“. Um die sture und phantasielose „Antragsverabschiedungsmaschine“ wenigstens zeitweise anzuhalten, wurde auf dieser Konferenz einen Vormittag lang in Arbeitsgruppen diskutiert. Themen: EG-Binnenmarkt, Zukunft der Arbeit, Ausländerfeindlichkeit, Ökologie, Frieden und gewerkschaftliche Jugendarbeit.
Die Debatte über die Anträge zum Umgang mit Rechtsradikalismus und Ausländerfeindlichkeit konnte aus Zeitgründen nicht abgeschlossen werden. Viele Redebeiträge brachten jedoch zum Ausdruck, daß man es sich mit den rechtsextremen Tendenzen in den eigenen Reihen nicht zu leicht machen sollte. Diese Leute aus der Gewerkschaft auszuschließen sei die einfachere Lösung - statt dessen müsse man mit ihnen diskutieren und Überzeugungsarbeit leisten. „Die Wahlerfolge der Republikaner zeigen“, so ein selbstkritischer Delegierter, „daß unsere bisherige antifaschistische Arbeit ihre Wirkung verfehlt hat.“
Gabriele Sterkel
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen