Schulstunde mit Namibier

■ Vertreter der namibischen Lehrergewerkschaft am Schulzentrum Holter Feld

Ivan Aron Kassingo ist „Public Relations Director“ der LehrerInnengewerkschaft Namibias - und gegenwärtig auf Rundreise durch die Bundesrepublik. Für zwei Tage machte er Dienstag und Mittwoch Station in Bremen. An Terminen war kein Mangel: Kassingo besuchte das Namibia-Projekt an der Universität, bei dem BremerInnen gemeinsam mit SWAPO -Namibiern Schulbücher erarbeiten. Er war außerdem bei der Solidaritätsorganisation „Entwicklungshilfe von Volk zu Volk“, beim Bildungssenator und bei der hiesigen LehrerInnengewerkschaft GEW. In dieser gibt es einen Arbeitskreis „Erziehung gegen Apartheid“, der mit einem eigenen Infodienst Bremer LehrerInnen über neueste Entwicklungen im südlichen Afrika informiert und sie mit Unterrichtshilfen versieht. Am Schulzentrum Holter Feld schließlich traf der namibische Lehrer auf bremische SchülerInnen. Eine knappe Schulstunde stellte er sich den Fragen des Gemeinschaftskunde-Kurses der Jahrgangsstufe 13. Die zukünftigen AbiturientInnen

hatten „Namibia“ bereits behandelt - im Geographie-Kurs anhand von Materialien des „Namibia-Projektes“. Gestern war das inoffizielle Lernziel, so der Lehrer Siegfried Nauhaus gegenüber der taz, „daß die Schüler mal einen echten Namibier sehen“.

Für eine Begegnung blieb nur wenig Zeit, zurückhaltend -interessiert wurden Informationsfragen gestellt: Wie sieht es mit der neuen Verfassung aus? Welche Wirtschaftspolitik will die SWAPO machen? Will Namibia westliche Entwickungshilfe? Warum wählen so viele Schwarze die westlich orientierte, von Südafrika unterstützte „Turnhallen -Allianz“? Ivan Aron Kossingo klärte auf: Da die SWAPO bei den Wahlen Anfang November die Zweidrittel-Mehrheit nicht errungen habe, müsse sie sechs andere Parteien am Ausarbeiten der Verfassung beteiligen. Das Ergebnis sei abzuwarten. Die SWAPO jedenfalls wolle den Mehrparteien -Staat, und sei keine marxistische Partei, auch wenn der Befreiungskrieg von Ländern wie DDR und Kuba fi

nanziert worden sei. Die Angst vor einer Destabilisierung durch Südafrika sei gegenwärtig sehr groß. Wirtschaftlich müsse man damit rechnen, daß die Weißen im Land mindestens für die nächsten 25 Jahre ihre Vormachtstellung behalten würden. Die SWAPO-Regierung wolle jedoch versuchen, die Bodenschätze und die Fischbestände in nationalen Besitz zu bringen und von weißen Farmern gegen Entschädigung Land zu bekommen und umzuverteilen. Kossingo wies auch auf bundesrepublikanische Verstrickungen hin: „Ich habe nie in meinem Leben einen Diamanten gesehen. Die landen hier bei Ihnen in den Geschäften. - Es gibt bei uns viele deutsche Farmer, etliche leben sogar in Deutschland und nicht in Namibia. - Ich habe in der Schule nichts über die Geschichte meines Landes gelernt, sondern nur über Bismarck, Hitler und Napoleon.“ Schulpflicht gebe es in Namibia bisher nur für weiße SchülerInnen, nicht für die schwarzen. Keinen Hehl machte Kossingo aus den Stammens-Rivalitäten, die die südafrikanische

Kolonialmacht geschürt hatte. „We are not very united.“ Es gebe Schulen, getrennt nach Nama, Damara, Herero oder Ovambo. An den Häusern im Township Katutura sei die Stammeszugehörigkeit markiert. Kossingo, der selbst die Folter in den Gefängnissen der Südafrikaner kennengelernt hat, äußerte sich auch zu den Folterungen, die in den Flüchtlingslagern der SWAPO stattgefunden hatten: „Ich war nicht sehr froh, als ich von diesen Vorgängen hörte. Aber es ist gerechtfertigt, Spione zu foltern. Und das waren Spione, bis auf zwei, drei Ausnahmen.“ Ein Massaker an namibischen Flüchtlingen im angolanischen Kassinga hätte 2.000 Opfer gefordert, dafür seien Spione mitverantwortlich. - Zum Abschluß bot der Namibianer den bremischen SchülerInnen Kontakte zu namibischen SchülerInnen an. Eine unmittelbare Resonanz fand der eilige Gast nicht.

bd