Neue Reisefreiheit: 200.000 Berliner vergessen

■ Für in West-Berlin lebende Ausländer bleiben Visumpflicht und Zwangsumtausch bestehen / Widersprüchliche Angaben aus Bonn und Berlin Bei der türkisch-sprachigen Zeitung 'Hürriyet‘ melden sich Leser empört zu Wort / Senat will sich für Gleichbehandlung einsetzen

Die Befreiung von Zwangsumtausch und Visum, nach den Worten von Momper „die schönste Weihnachtsnachricht für alle Berliner“, gilt vorerst nur für Deutsche. Wie der stellvertretende Regierungssprecher in Bonn, Vogel, der taz mitteilte, sei bei den Verhandlungen zwischen Kanzleramtsminister Seiters und DDR-Ministerpräsident Modrow „erst mal das Dringendste besprochen worden“, zumal Verhandlungspartner Modrow ohnehin kaum mehr wisse, wo ihm der Kopf stehe. Man sei sich des Problems dieser Ungleichbehandlung in Bonn jedoch durchaus bewußt. Auch in der BRD und West-Berlin lebende EG-Bürger müssen laut Vogel weiterhin Visum und 25 Mark am Grenzübergang bereithalten.

Ähnlich konkret wollte - oder konnte - man sich im Senat gestern nicht äußern. Im Gegenteil, im Schöneberger Rathaus rechnet man damit, daß bei der Frage von Visum und Zwangsumtausch der ständige Wohnsitz entscheidend ist - und nicht die Staatsangehörigkeit. Wie es zu so unterschiedlichen Interpretationen in Bonn und Berlin kommen kann, wußte sich Regierungssprecher Vogel nicht zu erklären.

In der Redaktion der größten türkischsprachigen Zeitung in Berlin, 'Hürriyet‘, laufen seit zwei Tagen die Telefondrähte heiß. „Die Leute wollen erst mal gar nicht glauben, daß das für sie nicht gilt“, sagt Redakteur Ali Yumusak, der sich selbst erst bei Bonner Ministerien sachkundig machen mußte. Die Hoffnung, daß auch hier lebende AusländerInnen in Zukunft problemlos ins Berliner Umland fahren können, gibt er allerdings nicht auf. „Schließlich ist der Zwangsumtausch ja nicht wegen der Ausländer in der BRD und West-Berlin eingeführt worden. Und wenn er jetzt wegfällt, kann er doch nicht einfach für uns bestehen bleiben.“ Das sieht auch der Senat ein. Man werde sich dafür einsetzen, daß ausländische Mitbürger genauso wie deutsche behandelt werden, versicherte Gerhard Kunze, in der Senatskanzlei zuständig für Berlin -Politik.

Eben das erwartet auch die Türkische Gemeinde von Momper. Im Namen der in Berlin lebenden TürkInnen protestierte der Vorstand der Gemeinde gegen diese Differenzierung gegenüber „Menschen, die jahrelang mit ihrer Arbeitskraft einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau der BRD geleistet haben und allen Bürgerpflichten nachgekommen sind“. Ob eine Nachbesserung noch bis zum 1. Januar 1990 erfolgt, wenn die Neuregelung für Westdeutsche und Westberliner in Kraft tritt, bezweifelt Vogel aber. Eine gemeinsame Initiative von Seiters und Momper hält er jedoch nicht für ausgeschlossen - „wo doch zwischen Bonn und Berlin die neue Freundschaft ausgebrochen ist“.

anb