piwik no script img

Unerträgliche Überheblichkeit-betr.: "Der grünen Lähmung", taz vom 30.11.89

betr.: „Der grünen Lähmung“, taz vom 30.11.89

Die taz liegt falsch und zeigt sich falsch informiert, wenn sie behauptet, ich wäre in meiner Rede nicht auf die Vorschläge von Helmut Kohl eingegangen. Den zu diesem Zeitpunkt bekannten Drei-Stufen-Plan, der da hieß „Freie Wahlen - konföderative Strukturen - Wiedervereinigung“ kommentierte ich als das, was er ist: Die Absicht, die Angeschlagenheit der DDR auszunutzen, um Fahrpläne für ihre Entwicklung von den Machtzentren der BRD aus zu bestimmen.

Seinen Zehn-Punkte-Plan gab Kohl erst nach meiner Rede bekannt. Ich hätte aber auch auf ihn nicht wesentlich anders reagiert. Es wäre feige, sich in dieser Debatte nicht gegen die unerträgliche Überheblichkeit gegen das Nachbarland DDR und gegen die Ideologie zu wenden, die versucht, die menschenfreundliche Qualität des bundesdeutschen Kapitalismus durch den Hinweis auf schlangestehende DDR -BürgerInnen vor Westberliner Obstläden zu belegen.

Deswegen erwähnte ich die Tatsache, daß zehn Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung in materieller Armut lebt. Die taz stört sich wohl daran, daß ich zu einem „welthistorischen Zeitpunkt“ von der Kritik am Kapitalismus nicht ablassen will und politische Einmischung an Realitäten statt an Visionen ausrichte.

Zu den Realitäten gehört das erklärte Ziel der Bundesregierung, sich die DDR einzuverleiben, und zwar nicht irgendwie, sondern kapitalistisch. Zu den Realitäten gehört auch die derzeitige ideologische Offensive, die jede Kritik an der BRD mit dem Hinweis auf die DDR mundtot macht.

In der Tat, für jemanden, der nicht wahrhaben will, daß die staatliche Eigenständigkeit der DDR die Minimalvoraussetzung ist für jede vernünftige Reform dort, ist das Eintreten für Zweistaatlichkeit ein „verkrampftes Plädoyer“. Die taz will die Politik der Bundesregierung nicht bekämpfen, sondern ihr eine „historische Perspektive“ an die Seite stellen, die von der Größe ihrer geistigen Urheber zeugt. Die Frage nach dem „Stil“ der taz-Berichterstattung läßt sich insofern auch beantworten. (...)

Jutta Oesterle-Schwerin

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen