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Nachdenken über Ausnahmezustand

■ Der DDR-Staatssicherheitschef Wolfgang Schwanitz sieht Ausnahmezustand „noch nicht“ im Gespräch Gesetzliche Grundlagen fehlten noch / Berichte über gestürmte Stasizentralen und verletzte Mitarbeiter

Ost-Berlin (dpa) - Nachdem aufgebrachte DDR-Bürger die Bezirksämter einschließlich der Staatssicherheitsabteilungen in Dresden, Cottbus, Rostock und Suhl gestürmt und besetzt haben, sagte gestern der Chef des neugeschaffenen Amtes für Staatssicherheit, Wolfgang Schwanitz, vor Journalisten, er sei „in tiefster Sorge“ um Leib und Leben seiner Mitarbeiter. Es habe eine Menge ambulant versorgter Verletzter unter den Sicherheitsleuten gegeben. Die Verhängung des Ausnahmezustands sei zur Zeit „noch nicht“ im Gespräch - unter anderem, weil es kein DDR-Gesetz über den Ausnahmezustand gebe, sagte Schwanitz.

Die vier Dienststellen der Stasi mußten ihre Arbeit nach Angaben von Schwanitz bereits total einstellen, andere Abteilungen seien nicht mehr arbeitsfähig. Die teilweise militanten Angriffe sollten enden, da sonst der Prozeß der innenpolitischen Erneuerung in Gefahr gerate. Der Ministerrat hat nach den Worten von Schwanitz „Festlegungen zur Wiederherstellung von Ordnung und Sicherheit getroffen“. Alle Mitarbeiter der Staatssicherheit hätten aber den Befehl, gewaltfrei zu handeln sowie keine gezielten Schüsse abzugeben.

Regierungssprecher Wolfgang Meyer betonte, die Lage in der DDR habe sich zugespitzt und erste Aufgabe sei es nun, Besonnenheit zu zeigen. Beim Vorgehen gegen Amtsmißbrauch und Korruption dürfe keine Gewalt angewandt und keine staatlichen Organe behindert werden. Auch die Sozialdemokraten in der DDR befürchten den Beginn von Gewalt durch Besetzung von Kasernene und Häusern der Staatssicherheit, sagte gestern ein sozialdemokratischer Sprecher der Nachrichtenagentur 'adn‘. Auch der Vorsitzende der EKD, der Westberliner Bischof Martin Kruse, hat vor Selbstjustiz in der DDR gewarnt. In einem Zeitungsbeitrag schrieb er, Wut und Empörung richte sich jetzt gegen hohe SED-Funktionäre und aus der Partei ausgeschlossene Personen. Ihnen und ihren Familien schlage „kalte Feindschaft und Verachtung“ entgegen. Solche Gefühle könnten schnell in Aggression umschlagen. Es sei wichtig, wenn die Kirche jetzt zur Besonnenheit rate. (Siehe auch Seite5)

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