: Langer, unruhiger Fluß
■ Die „Confederacy of Fools“ spielte „Ruth Erect“
Was ist nur mit Ruth los? Sie hockt an ihrem 27.Geburtstag auf einer Party im Badezimmer und hat die Tür hinter sich verriegelt. Etwas komisch sieht sie schon aus mit ihrem steinzeitlichen Fellkostüm und den Römersandalen, aber es soll ja auch eine Verkleidungsfete sein. „Hier sitze ich, dumm, arm, mit einem ungemütlichen Zuhause und einer unglücklichen Zukunft.“
Wohlgemerkt, sie sagt das in englisch. Lynne Brackley, die Darstellerin der Ruth, ist Mitglied des englischen Theater -Ensembles Confederacy of Fools, die im Theatersaal der Universität mit ihrem Stück Ruth Erect gastierten. Ruth ist nicht dumm, wie sie vorgibt. Sie ist zynisch, frustiert und verletzt. Ihr bisheriges Leben sei ein einziges Nichts gewesen, teilt sie mit. Poor Ruth.
Nicht einmal Andrew (Tony Durham), Liebhaber und Wohnungsgenosse in einem, vermag da zu helfen. Soll er aber auch gar nicht, die scharfzüngige Ruth hat die Schnauze gestrichen voll. Wenn das Leben wirklich ein langer, ruhiger Fluß ist, dann kommt sich Ruth wie eine Frau vor, die das Schwimmen verlernt hat. Die sogenannte Befreiung des weiblichen Teils der Bevölkerung empfindet sie als Farce, „Lady Di und Fergie haben die Frauenbewegung um zwanzig Jahre zurückgeworfen“. Mit Andrew befindet sie sich in der Grauzone des Alltags, gemeinsame Zeiten in der Badewanne gehören der Vergangenheit an und sexuell scheint längst die Luft heraus zu sein. Entsetzt stellt sie fest, daß sie statistisch über sechshundert Mal mit ihrem Freund geschlafen haben muß, „das macht ungefähr einen Liter Sperma aus, den ich
aufgenommen habe. Das sind zwei Flaschen Milch. Meine arme Vagina.“
Lynneckley spielt mit Überzeugung. Und doch kommt das Gefühl auf, daß wir das alles schon einmal gehört haben. In sozialkritischen Filmen vielleicht, in Berichten der Frauenwoche von vor zehn Jahren oder bei erregten Kneipen -Diskussionen.
Ruth Erect ist gut, weil Lynn Brackley gut ist. Das Bühnenbild des leicht angegammelten Badezimmers ist gefällig, dramaturgisch sind jedoch Grenzen gesetzt. Die wohlgemeinten Standbilder, bei denen der hilflos-liebe Andrew wie eingefroren verharrt, Ruths Angstträume des frauenverschlingenden Liebhabers, setzen Akzente.
Dem begeistert applaudierenden, überwiegend studentischen Publikum, geel die zerissene Selbstdarstellung. Etwas weniger wäre inszenatorisch mehr gewesen, doch ein vergnüglicher Abend war es allemal. Jürgen Franck
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