: Unter dem Sonnenrad
■ Ein Tabuthema der Tourismusdiskussion in der Bundesrepublik Deutschland wird beleuchtet: Die "Kraft durch Freude"-Reisen der Nationalsozialisten - Massentourismus mit Hakenkreuz
Rüdiger Kind UNTER DEM SONNENRAD
Die „Kraft durch Freude„-Reisen der Nationalsozialisten
Massentourismus mit Hakenkreuz
Das Sackhüpfen der Pfälzer Volksgenossen auf dem Promenadendeck ging gerade in die dramatische Endphase, als ein dumpfes Knirschen den Rumpf der Dresden erschütterte. Das erste Urlauberschiff der „NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“ (KdF) war samt Lotsen und 1.000 Urlaubern an Bord auf ein Riff vor der norwegischen Küste aufgelaufen.
Ein Sturm hatte das Seezeichen vertrieben, und das Schiff blieb mit einem Riß von 30 Metern Länge und 4 Metern Breite hängen. Da die Schotten gut funktionierten, konnten alle Fahrgäste in zwei Stunden ausgebootet und an Land in Bauernhöfen versorgt werden. Mit dem Untergang der Dresden am nächsten Vormittag endete 1934 eine der ersten Fahrten der nationalsozialistischen Freizeitorganisation Kraft durch Freude - so hatten sich die „neuen Wikinger“ das von der NS-Propaganda oft beschworene „Nordgefühl“ allerdings nicht vorgestellt. Jeder Deutsche von KdF erfaßt
1934 stand KdF erst am Anfang der Entwicklung. Schon drei Jahre später konnte Robert Ley, als Reichsleiter der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF) für Kraft durch Freude zuständig, seinem Führer melden: „Jeder Deutsche von KdF erfaßt!“
Die Teilnehmerzahlen der von KdF durchgeführten Bahn- und Schiffsreisen lesen sich in der Tat imposant: Nach der amtlichen Statistik stieg die Zahl der Teilnehmer von 2,3 Millionen im Jahr 1934 auf 10,3 Millionen im Jahr 1939, davon entfielen 560.000 auf Seereisen. An sonstigen KdF -Freizeitangeboten beteiligten sich 1934 rund 9,1 Millionen, im Jahre 1939 bereits 54,6 Millionen Deutsche. Der Jahresumsatz von KdF erreichte damit 2,5 Milliarden Reichsmark.
Das NS-Regime verstand es natürlich, diese Zahlen propagandistisch auszunützen: Sie galten als Beweis einer an den Bedürfnissen der „Volksgemeinschaft“ orientierten Politik. Da es vor 1933 keinen organisierten Massentourismus gab, das Reisen aus finanziellen Gründen fast ausschließlich dem Bürgertum vorbehalten war, konnte KdF als greifbarster und populärster Erfolg des Dritten Reiches verbucht werden.
Nach der Erhöhung des Mindestjahresurlaubs für Industriearbeiter von von drei auf sechs Tage begann KdF mit dem Aufbau einer gigantischen Massentourismus-Organisation und einer eigenen Unterhaltungsindustrie: von Symphoniekonzerten im Betrieb bis zu Schiffsreisen nach Madeira, Italien und Norwegen, von „bunten Abenden“ bis zur Volksoper, Wanderungen und Volkssport. Große Strandbäder wie das „Seebad der 20.000“ in Mukran auf Rügen wurden gebaut, und der Vertrieb des „KdF-Wagens“, des Volkswagens, wurde nur durch den Kriegsbeginn verhindert. Eine großartige Leistung, sagten die Nazis. Doch womit wurde sie erkauft? KdF überholt die Arbeitskraft
Nach der Zerschlagung der freien Gewerkschaften am 2.Mai 1933 übernahm die DAF unter der Führung von Robert Ley zwar deren Vermögen, mußte sich aber politisch der NSDAP unterordnen und sich auf die ideologische Schulung der „Betriebsgemeinschaft“ beschränken. Für den machthungrigen Ley und seine Funktionäre bedeutete dies eine Niederlage. Als ablenkendes Zugeständnis wurde ihm am 27.November 1933 in einer Spontanentscheidung die Gründung des Feierabendwerks „Nach der Arbeit“ gestattet. Konzeptionen über die Aufgaben dieser DAF-Unterorganisation existierten nicht, man orientierte sich am Vorbild der faschistischen italienischen Freizeitorganisation „Dopolavoro“. Um sich in der Namensgebung von dieser abzusetzen, wurde Nach der Arbeit wenige Tage später in „NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“ umbenannt.
Die vielfältigen Freizeitaktivitäten, die von KdF durchgeführt wurden, boten dem Heer der DAF-Funktionäre, das im Lauf der Zeit auf über 40.000 anwuchs, reichlich Gelegenheit zur Betätigung - und mit dem Erfolg des Projekts KdF hoffte Ley, der DAF im politischen Grabenkampf der NS -Organisationen mehr Machtpositionen zuschanzen zu können.
Über die Aufgaben ihrer Freizeitorganisation ließen sich die DAF-Propagandisten recht unverblümt aus: „Wir schickten unsere Arbeiter nicht auf eingenen Schiffen auf Urlaub oder bauten ihnen gewaltige Seebäder, weil uns das Spaß machte ... Wir taten das nur, um die Arbeitskraft des einzelnen zu erhalten und ihn gestärkt und neu ausgerichtet an seinen Arbeitsplatz zurückkehren zu lassen. KdF überholt gewissermaßen jede Arbeitskraft von Zeit zu Zeit, genauso wie man den Motor eines Kraftwagens nach einer gewissen gelaufenen Kilometerzahl überholen muß.“
Das war auch notwendig, da infolge der beschleunigten Aufrüstung ab Mitte der dreißiger Jahre zunehmend Arbeitskräfte in der Industrie fehlten. Das proklamierte Ziel der KdF war demzufolge, wie der Historiker Timothy Mason schreibt, „die Erhöhung der Arbeitsleistung zugunsten der Aufrüstung, wobei die Arbeiter dazu gebracht werden sollten, dieses Ziel von sich aus anzustreben“.
Dazu mußten die Arbeiter einiges an ideologischem Quark über sich ergehen lassen. „Die Seefahrten der Kraft-durch -Freude-Dampfer sind wahre Zentralnester der Umformung und wandernde Brutstätten des Künftigen. Das ganze Schiff ist voll von Zukunft und schwer vom Kommenden.“ Ganz so heiß, wie es in dieser propagandistischen Beschwörung der KdF -Reisen als Erziehungswerk im Geiste des Nationalsozialismus klang, wurde der reichlich unverdauliche Propagandabrei von den Teilnehmern der Reisen allerdings nicht gegessen. Für sie stand natürlich das Amüsement im Vordergrund, waren die KdF-Veranstaltungen doch eine der wenigen Möglichkeiten, die das NS-System bot, um sich dem ständig verschärfenden politischen und wirtschaftlichen Druck zu entziehen.
Auch die Tatsache, daß ausgerechnet „Reichstrunkenbold“ Ley auf einer der Fahrten predigte, ein Sichgehenlassen habe nichts mit wahrer Freude zu tun, oder daß Goebbels sich Sorgen machte, KdF könne „zu einer reinen Rummelbewegung“ degenerieren, spricht nicht gerade für den Erfolg der selbstgestellten Erziehungsaufgabe. Der begegnete der sprichwörtliche Volksmund nur mit Spott: „Wir haben unsere Kraft durch ein Zuviel an Freude verloren!“
„Als Ansporn für gesteigerten Leistungswillen“, resümiert Mason, „war KdF gar nicht geeignet, als Ventil für aufgestaute Unzufriedenheit von nur sehr begrenztem Wert.“ Kraft durch Freudenmädchen
Über die soziale Herkunft der Teilnehmer an den KdF-Fahrten existieren bislang kaum Untersuchungen. Rückschlüsse lassen jedoch die Berichte der Geheimen Staatspolizei zu, die zahlreiche Reisegruppen bespitzelte: Manches deutet darauf hin, daß besonders auf den begehrten großen Schiffsreisen Lohnabhängige gegenüber dem Bürgertum und Funkionären der NS -Organisationen unterrepräsentiert waren. Eine Norwegenfahrt kostete einschließlich der Zugfahrt von Berlin nach Hamburg und zurück 42 Reichsmark, die Italien-Rundfahrt war für 155 RM zu haben. Das Einkommen der KdF-Fahrer belief sich laut NS-Statistik bei nur 6 Prozent der Reiseteilnehmer über 250 RM monatlich, der Rest lag darunter, bei 30 Prozent sogar unter 100 Reichsmark. Man kann sich vorstellen, daß der städtische Arbeiter da eher eine Wanderung in der Rhön buchte als eine Madeirafahrt.
Wenn man sich die Fahrtkosten vom Mund abgespart hatte, erwartete die Urlauber eine militärisch straffe Reiseorganisation: Auf den Schiffen z.B. wurde um 7 Uhr geweckt - die Volksgenossen sollten ja nicht „verweichlicht“ an ihren Arbeitsplatz zurückkehren.
Bei den Teilnehmern einer KdF-Dampferfahrt für Gauleiter stellte die Gestapo allerdings eine recht freizügige Auffassung von Kraft durch Freude fest: Die Nazi-Bonzen schöpften neue Kraft für das aufreibende politische Tagesgeschäft durch die Anwesenheit zweier Prostituierten an Bord. Volk zu Schiff
Die Nordlandfahrer, die mit Robert Ley, Der Deutsche oder einem anderen der elf Schiffe der KdF-Flotte die Küsten Norwegens unsicher machten und sich abends im völkischen Tanz ergingen, erschauerten am nächsten Morgen in andachtsvollem Schweigen vor den hoch hinaufragenden Kliffen der Fjorde, während den Schiffslautsprechern Griegs Peer -Gynt-Suite entströmte. Am Grab der Götter fühlten sie der Urwurzel germanischen Wesens auf den Zahn. „Wir sind die neuen Wikinger, die jedem Grauen und jeder Drohung ruhig ins Gesicht blicken. Aus Kampf und heißer Not kommen wir, und wie wir da an der fernen Nordküste auftauchen, sind wir gerade dem Untergang entronnen.“ Nicht lange währte die Besinnlichkeit.
Vom totalen Grieg bis zum totalen Krieg dauerte es nur noch ein paar Jahre. Als am 1.September 1939 das nationalsozialistische Deutschland den Zweiten Weltkrieg entfesselte, war es mit der Erholung vorbei. Die KdF-Dampfer wurden als Lazarettschiffe eingesetzt, der männliche Teil der Volksgemeinschaft erkundete Europa nun mit Panzer, Jagdbomber, Zerstörer und U-Boot - bis die Götterdämmerung sich endgültig über das Tausendjährige Reich senkte.
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