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Bewährung für tödlichen Würgegriff

Stuttgarter Landgericht urteilte über den Tod des Tübinger Asylbewerbers Kiomars Javadi / Tödlicher Würgegriff nach Ladendiebstahl nicht aus „bewußtem Ausländerhaß“  ■  Aus Stuttgart Petra Seitz

Zu eineinhalb Jahren Gefängnis auf Bewährung hat gestern das Landgericht Stuttgart die beiden Mitarbeiter eines Tübinger Supermarkts verurteilt, die vor zwei Jahren den iranischen Flüchtling Kiomars Javadi zu Tode gewürgt hatten. Damit folgten die RichterInnen dem Plädoyer des Staatsanwaltes und bestätigten das erstinstanzliche Urteil des Tübinger Amtsgerichts, das vor einem Jahr gefällt worden war. Die Verteidigung hatte Freispruch gefordert.

In vier Prozeßtagen war vor dem Stuttgarter Landgericht noch einmal in beklemmender Ausführlichkeit aufgerollt worden, wie Kiomars Javadi starb; und wie in der ersten Auflage des Prozesses zeigten sich die beiden Angeklagten völlig unberührt von der Tat, die über Tübingen hinaus für Empörung gesorgt hatte: Am 19. August 1987 hatten der damals 18jährige Lehrling und der Filialleiter des Tübinger PfannkuchSupermarkts den 20jährigen iranischen Asylbewerber als Ladendieb gestellt. Javadi versuchte zu fliehen. Doch dann nahm der Lehrling im Hinterhof den Iraner in den „Schwitzkasten“, und der Filialleiter verdrehte dem auf dem Bauch Liegenden das Bein, so daß der sich nicht mehr rühren konnte. 16 Minuten lang hielten sie ihn so unbeeindruckt von Zurufen von PassantInnen („Ihr bringt den ja um!“). Sie ließen erst los, als die Polizei eintraf. Doch da war Kiomars Javadi längst tot. Spätestens nach zehn Minuten, so der medizinische Gutachter, war der Tod eingetreten.

Nachdem die beiden Angeklagten im Sommer 88 für ihre Tat mit einer milden Bewährungsstrafe wegen fahrlässiger Tötung davongekommen waren, gingen sie in die Revision. Der wurde zugunsten der beiden Täter stattgegeben. Es müsse geprüft werden, so beschied die Revisioninstanz, ob ihr „Würgegriff“ an Javadi das normale Maß der Gewaltanwendung überschritten hatte und ihnen überhaupt „Fahrlässigkeit“ vorzuwerfen sei.

Dies bejahte jetzt das Stuttgarter Landgericht in sehr viel schärferem Tenor als die Tübinger Kammer. Mit der Angst vor dem Angeklagten sei es nicht weit hergewesen. Auf zahlreiche Warnungen von PassantInnen und andere „Warnsignale nicht übersehbarer Art“ hätten die Angeklagten nicht reagiert; ihr Verhalten sei sogar „an die Grenze der bewußten Fahrlässigkeit“ gegangen. Motiv sei allerdings nicht „bewußter Ausländerhaß“ gewesen, sondern die „starren Vorstellungen“, vor allem des Lehrlings, über „Recht und Ordnung“ und den „Schutz des Eigentums“.

Der Lehrling Andreas U. soll im April dieses Jahres noch einmal einen Würgegriff eingesetzt haben. Einen Kumpel soll er mittels Würgegriff zum „Tatort“ zurückexpediert haben, wo dieser zuvor ein Auto zu Schrott gefahren hatte. Dieser Anklagepunkt wurde jedoch vor dem Landgericht fallengelassen, weil sich der Betroffene jetzt an nichts mehr erinnern wollte.

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