: Prima Leben unterm Stiefel
Montagsexperten kommen zu Wort. Heute: Jochen Rindt ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9
Ob man gut angeschlossen ist an die aktuellen Top-Ten -Produkte, mit denen man sich auch bei einer schmalbrüstigen Brieftasche bewaffnen und dann prestigieren kann, erkennt man bei den gegenwärtigen Geschmacksverirrungen an den kleinen, scheinbar unbedeutenden und zufälligen Dingen des Alltagsgebrauchs. Nein, ich habe nicht die Aktenmappe im praktischen DINA4-Format im Sinn, auch nicht die ph-neutrale Flüssigseife; weder die Zahncreme für den Tag und die für die Nacht, noch die diversen chromblitzenden Espressomaschinen, die dann noch aus dem Tschibo -Frischedepot kommen. Voll im Kommen ist im Moment vielmehr der Parker Billig-Füller bzw. Kugelschreiber (ugs. Kuli) bzw. Faserschreiber. Die Produkte aus dem Hause Parker befinden sich schon seit längerem in einer Prestige-Baisse, seitdem sich auch freie Journalisten, Bankangestellte und Einzelhändler ihrer bedienen. Kurz vor dem endgültigen Aus im Woolworth-Mittelfeld und der Verwendungsfähigkeit dieser Marke als Weihnachtsgeschenk der Allianz-Versicherung hat sich diese Firma noch etwas ausgedacht, um ein letztes Mal mit dem eigenen Namen Geld zu machen. Nämlich den oben erwähnten Billig-Schreiber, der es jetzt auch Studenten, Arbeitslosen und ABM-Kräften mühelos erlaubt, in die große Parker-Familie einzutreten. Dieser Stift ist schon für wenig Geld zu haben, sieht aber dafür potthäßlich aus. Bei geschlossener Kappe ergibt sich folgendes Bild: Dreiviertel des Stifts ziehen sich unelegant gleichmäßig rund wie wurstfingermäßig dahin, während das letzte Viertel kleineren Durchmessers ist und silbermatt strahlt, im Gegensatz zur sonst vorherrschenden dezenten Farbigkeit. Das letzte Viertel hat ob seines geringeren Durchmessers den Vorteil, daß darauf die Kappe gesteckt werden kann. Ist dies getan, bekommt der Stift ein rakentenähnliches Aussehen, daß man denkt, man hielte eine Cruise Missile in der Hand, deren Flügel abgeflext wurden. Aber was ist das Aussehen schon gegen den guten Markennamen. Und da hatte Parker scheint's doch Skrupel vor der eigenen Raffgier und unterließ den sonst üblichen Schriftzug auf dem Stift. Jetzt ist nur am Clip - also dem Teil, mit dem man den Stift an der oberen kleinen Jackettasche befestigen kann und der dann ordensgleich Ruhm verblinkt - zu sehen, wessen Eltern Kind das Produkt ist. Ich hatte Glück. Denn bevor der Billig -Parker in aller Hände war, verlor ich den meinen. Und ersetzte ihn durch eine unverschämte Antik-Füller-Fälschung aus dem Hause Herlitz. Er hatte diese echt alte Torpedo -Form, glänzte an den richtigen Stellen golden, so daß es bis auf fünf Metern Entfernung ausschaute, als hätte ich dies Gerät von meinem Urgroßvater, einem Lübecker Kaufmann, geerbt. Zwar habe ich keinen Lübecker Großvater, dafür war das Gold aber auch kein Gold, und der Füller hatte insgesamt nicht einmal 20 Mark gekostet, inklusive der echt nostalgischen Apparatur für das Aufziehen von Tinte. Nur ein Problem habe ich nie lösen können: der Tintenfluß war so mies, daß die Hälfte der Buchstaben nur als farbloser Abdruck auf dem Papier erschienen. Natürlich hatte ich den Kassenbon verloren und konnte nicht mehr umtauschen. Also mußte ich alle naselang die Spitze des Füllers in die Tinte tauchen, was zwar federkielmäßig flott aussah, auf die Dauer aber schreibhemmend wirkte. Folge: ich mußte wiederum den Stift wechseln. Diesmal verfiel ich auf den Luigi Colani Design Kugelschreiber von Pelikan, dem mit Abstand merkwürdigsten Produkt. Er schaut aus, als hätte ihn ein besoffener Genforscher konzipiert, indem er einen Flitzebogen mit der Einrichtung des U-Bahnhofs Spandau kreuzte und dabei die Erkennungsmelodie der Glücksspirale pfiff. Ja, Kleider machen Leute, die diskreten Schreibgeräte aber geben Glanz und Elend der sitzenden Mitteletagen an. Was dem gemeinen Berliner das T-Shirt mit der kilometerweit zu sehenden Aufschrift Boss ist, ist unsereinem der Füller. Und die Aktenmappe ist der Jogginganzug der Intellektuellen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen