piwik no script img

Die Kriegerwitwenschützer

■ BVV „bewältigt“ Deserteursvergangenheit / Bezirksbürgermeister Jaroch (CDU): „Versailles“ war schuld am Zweiten Weltkrieg

Mahnmale sind zumeist stinklangweilig. Bezirkspolitiker oft auch. Wenn aber die letzteren über die ersteren zu entscheiden haben, kann es aufregend werden - so nun in der BVV Tempelhof.

Über die Absicht hinter dem neuesten Streitobjekt in Sachen Erinnerung, das neben einem Gefallenendenkmal in Marienfelde mahnen soll, weiß die CDU-Verordnete Elisabeth Marol: „Es soll provozieren.“ Und ihrer BVV-Kollegin, der „Republikanerin“ Ingrid Ringling, „blieb fast die Spucke weg“, als sie den Antrag der AL las. Sie findet, daß man denen, „die sich gedrückt haben, die bewußt ihre Kameraden verlassen haben und deren Tod in Kauf nahmen, kein Denkmal setzen darf. Fahnenflucht gilt als eines der schwersten Verbrechen der zivilisierten Welt“. Kein Widerspruch bei den Unionsgenossen. Es geht um ein Mahnmal für Deserteure.

Ringlings Parteigenosse Ralf Baumbeck stellt sich gar vor 45 versammelten Tempelhofer Bezirksverordneten eine „Kriegerwitwe“ vor, die auf dem geplanten AL-Denkmal den Text lesen müßte: „Hätte Dein Mann damals nicht getötet, würde er vielleicht noch leben“. Sein Schluß: Das AL-Mahnmal wäre „eine Portion Unverfrorenheit“. Den alternativen Gerd Szczepanski erinnert Baumbecks imaginäre Witwe an seine Oma, die über heldenmütige Soldaten eine andere Einsicht gewonnen hat. Sie erzählt, daß ihr Mann „wie verrückt“ auf den Krieg war, aber „1917 war er weg, für nichts, völlig sinnlos“.

CDU-Marol („Ich bin aktive Christin“) will überhaupt nicht erinnert werden, zumindest nicht „kollektiv“ an die 16.000 Desserteure, die im Krieg hingerichtet worden sind. Man müsse bei jedem einzeln prüfen, ob er redliche Beweggründe für seine Kriegsdienstverweigerung hatte. Weil sie nun schweigt, hat es auch keinen Sinn, als Szczepanski wissen will, wie sie mit dem Soldatenmahnmal in der Dorfaue alle Gefallenen des Zweiten Weltkrieges „kollektiv“ ehre könne, obwohl auch hier welche dabei gewesen waren, die Verbrechen begangen haben. Eine Antwort gibt die Bezirkspolitikerin nicht.

Der Bezirksbürgermeister, durch eine Rede des jüngsten Verordneten, Boris Semrow von der AL, an die deutsche Geschichte erinnert, weiß: „Der Erste Weltkrieg ging nicht von deutschem Boden aus. Denken Sie an das Attentat in Serbien.“ Und der Zweite Weltkrieg? „Der Versailler Vertrag war ein Versailler Diktat“, weiß Bürgermeister Siegmund Jaroch (CDU).

Der SPD-Abgeordnete Ulrich Ebel hingegen bleibt diesmal ruhig. Nach der vorletzten BVV hatte er auf dem Rathausflur unbeherrscht festgestellt: „Die faschistische Mehrheit hat in Tempelhof gesiegt“. Weil er sich dafür nicht entschuldigen wollte, verließen CDU- und REP-Verordnete das letzte Mal die Politikerversammlung. Klar, daß die schwarz -braune Mehrheit diesmal „siegte“.

Dirk Wildt

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen