: Das Wohnen des Menschen
■ Ein Heidegger-Symposium im ungarischen Szeged
Andenken hieß die Zusammenkunft. Ein Symposium über Martin Heidegger, zum ersten Mal veranstaltet in Ungarn, nicht einmal in Budapest, sondern in der Provinz. Szeged also, die Gäste sind aus den verschiedensten Ländern Europas (BRD, Schweiz, Österreich, Italien, Polen, Niederlande) angereist, und die Idee war ein Gespräch über „Kunstwerk, Ding und Dichtung“.
Keine gewöhnliche akademische Tagung war geplant mit Vorträgen von morgens früh bis abends spät mit voraus berechneter „Diskussionszeit“. Die ungarischen Organisatoren waren der Meinung, es habe dieses Jahr schon genug an akademischen Tagungen über Heidegger gegeben, es lohne nicht, ihre Zahl zu vermehren; und außerdem widerspräche das „akademische Philosophieren“ dem Geiste des Philosophen, der zum Lernen des Denkens immer wieder aufforderte.
Rahmen und Ton des Gesprächs wurden von Hartmut Buchner (München) gesetzt. In seiner Eröffnungsrede zitierte er den Humanismusbrief: „In dieser Nähe (d.h. in der Nähe zum Sein) vollzieht sich, wenn überhaupt, die Entscheidung, ob und wie der Gott und die Götter sich versagen und die Nacht bleibt, ob und wie der Tag des Heiligen dämmert, ob und wie im Aufgang des Heiligen ein Erscheinen des Gottes und der Götter neu beginnen kann. Das Heilige aber (...) kommt dann allein ins Scheinen, wenn zuvor und in langer Vorbereitung das Sein sich selbst gelichtet hat und in seiner Wahrheit erfahren ist.“ Diese Worte haben das Gespräch über Kunst und Dichtung in das Spannungsfeld zwischen dem Heiligen - „dem für Gott offen gelassenen Raum“ - und dem Gestell, also dem Wesen der Technik gewiesen und die Teilnehmer zu Geduld und großer Vorsicht beim Nachdenken der gestellten Fragen ermahnt.
Gleich nach dem festlichen Anfang wirkte Joseph Rauschers Vortrag (Mainz) wie eine ins Schwarze treffende „Provokation“. Heideggers Auseinandersetzung mit Kunst und Sprache, Ding und Wort stelle ein systematisches Problem dar, das der „Projektion“, deren Kristallisationspunkt und Konsequenz das „objet trouvee“ sei. Die Herausforderung kam an. Zweifeln an Heideggers Argumentation, ob sie einwandfrei sei, wenn das Wesen des Zeuges erst aus dem Werk verstanden werden sollte. Es ließ sich auch Kritik an der Heideggerschen Ortsgebundenheit des Kunstwerks hören (Karol Sauerland, Warschau), um zuletzt bei der immer wieder diskutierten und nie befriedigend erörterten Frage zu landen, ob Heidegger überhaupt eine Art „Kunstphilosophie“ geschaffen habe.
Zum Thema „Kunst und Raum“ hatten vor allem die ungarischen Architekten etwas Nachdenkenswertes zu sagen. Istvan Schneller sprach über die Möglichkeit einer neuen Auffassung der architektonischen Gestalt der menschlichen Siedlung, entfaltet auf dem Grund der Heideggerschen Gedanken über Bauen und Wohnen. Er skizzierte unter anderem die neugestellte architektonische Problematik der Grenzen als solcher, wie zum Beispiel die Grenzen zwischen Innen und Außenräumen oder die des „Himmelraumes“ (Silouette) oder die des „Erdenraumes“ (Umriß, etc.) verstanden werden sollten, damit sich eine menschliche, also Heimat bietende Siedlung entwerfen ließe. Das gemeinsame Interesse an Parallelen zwischen Heideggers und Nietzsches „Kunstphilosophie“ verband György Kunszt mit Kees Vuyk (Amsterdam), der Heidegger mit den Mitteln des Theaters zu „humanisieren“ anstrebte.
Zum Höhepunkt des Symposiums gehörte das von Buchner geleitete Seminar über Heideggers Vortrag Das Wohnen des Menschen. Im Kreis der Hölderlin-Verehrer klang das Wort beinahe befremdend: „Doch seitdem Hölderlin seine Gesänge dichtete, dürfte allen deutlich geworden sein: Dieses Gedicht sagt und harrt vergeblich. Das Wort vom dichterischen Wohnen des Menschen bleibt unerfüllt eine einzige große Täuschung“. Verzweifelt über „Weltentzug und Weltverfall“ bliebe vor dem heimatlos gewordenen neuzeitlichen Menschen noch ein anderer Weg offen als der östliche Weg - etwa der Denk-Weg eines „japanisierten“ Heideggers? Leise Hoffnungen, die von Buchner, dem ausgezeichneten Kenner der japanischen Heidegger-Rezeption, geäußert wurden. War das Dichterische als „Grund und Wesen allen Kunstwerks“ ein verfehlter Ansatz, wenn das Dichterische auch die im Fest gegründete Geschichtlichkeit eines Volkes implizieren mag, wie es in den Hölderlin -Vorlesungen hieß, oder sollte dieser dichterische Grund selbst im Sinne der „Gleich-Zeitigkeit“, der „Dimension“ des späten Heidegger, im Geiste „Scardanellis“ umgestimmt werden? Ist der späte Heidegger ein „religiöser Denker“ freilich ohne Gott -, im Gegensatz zum „Aktivisten“, zum tragischen Denker der 30er Jahre? Fragen, die in den Vorträgen von Eva Kocziszky und Mihaly Vajda (den beiden Organisatoren des Symposiums) gestellt wurden. Hinzu kam die Gegenfrage des Religionswissenschaftlers Aldo Magris (Trieste): Können wir Gott nicht metaphysisch denken? Könnten wir auf den Spuren des Heideggerschen „Ereignis„ -Gedankens eine neue Vorstellung über Gott, über den christlichen Gott, gewinnen?
Es zeigt sich: ein Symposium voller offener Fragen. Und ein Gespräch, das sich nicht mit der Frage nach dem Politischen herumquälte. Dies ist aber nicht aus Scheu oder Interesselosigkeit so geschehen. Auch nicht, weil Heidegger auf der entlegenen „Puszta“ als auctor gälte. Oder erst dann, wenn auctor sein hieße: unserem Zeitalter vorangehen, ein Vor-denker der uns erst heutzutage aufgegangenen höchsten Gefahr sein. In diesem Sinne schien Heidegger der aktuellste auctor überhaupt und weder ein Nazi -Philosoph noch ein spekulativer, weltfremder „Schlafwandler“, der an der „Wirklichkeit“ vorbeiging.
Eva Kocziszky
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