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Späthe Hilfe

Von Mittelstand und Mittelmaß  ■ E R E I G N I S D D R

In der Reihe „famous last words“ hat Stasi-Amtsleiter Peter Koch aus Neubrandenburg auf einer Diskussionsveranstaltung zugegeben, daß im vergangenen Sommer 50 Panzer aus dem Reparaturwerk Teterow an den Iran geliefert worden sind. Die Akten des Vorgangs sind gesichert. Der stellvertretende Bauminister Karl-Heinz Martini seinerseits berichtet von einem Topf für Härtefälle und Schlechtwettergeld in seinem Ministerium, durch den Privathäuser von hohen SED -Funktionären finanziert wurden.

Hochrangigen, möglicherweise auch korrupten Bonzen und Devisenschiebern aus der BRD soll demnächst Erich Honeckers Gästehaus am Schweriner See zur Verfügung stehen. Der Reiseveranstalter „hansa tours“ führt Verhandlungen.

Bürger beobachten Bonzen: Bislang haben mehr als 650 DDR -Bürger beim Untersuchungsausschuß Eingaben über Fälle von Amtsmißbrauch und Korruption gemacht. Der Ermittler befürchtet, daß das DDR-Strafrecht zur Verurteilung nicht ausreiche. Die Justiz müsse sich aber an das Gesetz halten, das zur Tatzeit gegolten habe. Viele Funktionäre würden deshalb straffrei ausgehen.

DDR-Autor Heiner Müller sortiert seine Gefühlszustände: von der Wiedervereinigung sei er emotional „überhaupt nicht“ berührt, von der Wende „eigentlich schon sehr“ und von dem Bananen-Boom „nicht so“ betroffen. Die DDR solle eine „basisdemokratische Alternative“ zur BRD werden, damit Europa keine USA-Filiale werde, sagte er.

Späth, aber nicht zu spät hat Baden-Württembergs Ministerpräsident Hilfe angekündigt, damit auch Sachsen am Wesen des Musterländles genesen könne: Existenzgründungsdarlehen für mittelständische Unternehmen, gegenseitige Kontaktbüros für technische und wirtschaftliche Hilfe, Partnerschaften und eine Stiftung zur Rettung von Dresdens Kulturdenkmälern sind vorgesehen - Zahlen wurden nicht genannt. Die Fokker 50 der Lufthansa-Tochter DLT, die Späth nach Berlin flog, war das erste bundesdeutsche Flugzeug, das in der Halbstadt landen durfte.

Bevor die Späthfolgen dieser Kapitaloffensive in den Betrieben spürbar werden, will der FDGB seine Strategie ändern. Der provisorische Vorsitzende Werner Peplowski erklärte gestern, seine Organisation müsse in den Betrieben mit Fachleuten für Tarifwesen und Arbeitsrecht präsent sein, „bevor das Kapital kommt“. Nachgedacht werde im Vorfeld des FDGB-Kongresses Ende Januar über Einführung der Tarifautonomie und „den Kampf um einen Teil des Gewinns der Betriebe.“

Arbeitgeberpräsident Murmann hat Bonn aufgefordert, kurzfristig mehrere Milliarden locker zu machen, damit die DDR-Wirtschaft in der BRD - wo sonst? - all das einkaufen könne, was ihr am dringendsten fehlt. Er habe auch Verständnis, daß Grund und Boden in der DDR von westlichen Firmen grundsätzlich nur geleast werden dürften.

Weil bislang nur die NVA mit gutem Beispiel vorangegangen ist und Dienst statt in der Kaserne nun in Krankenhäusern und Betrieben schiebt, wird zum Kohl-Besuch in Dresden am 19. Dezember ein Aktionstag für umfassende Abrüstung in beiden deutschen Staaten stattfinden. Aufgerufen haben Schriftstellerverband, Oppositionsgruppen und im Westen die DFG-VK.

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