: Pflichtgemäßes Wettern im Haushaltsloch
■ Haushaltsberatungen in der Bürgerschaft gerieten zur parlamentarischen Pflichtübung / SPD kritisiert Senator Scherf / Grüne suchen Konsens mit SPD
Einmal im Jahr hat das Parlament seine Sternstunde. Dann wird aus Anlaß der Haushaltsdebatte Bilanz gezogen, nicht nur in drögen Zahlen, sondern auch politisch. Wenn der erste Tag der Haushaltsberatungen 1990, die gestern in der Bremischen Bürgerschaft begannen, typisch ist, dann ist im Bremer Landesparlament eine Lethargie eingekehrt. Pflichtbewußt redeten die Sprecher der jeweiligen Fraktionen ihre Manuskripte herunter und waren sich der Langeweile, die sie verbreiteten, durchaus bewußt. So wartete der Grüne Fraktionssprecher Paul Tiefenbach gleich mit zwei „guten Mitteilungen“ auf. Erstens werde die Fraktion während der zweitägigen Debatte nur zweimal das Wort ergreifen und zweitens habe man darauf verzichtet, eigene Anträge einzubringen, da die ja sowieso von der Mehrheitsfraktion niedergestimmt würden.
„Ich muß für mich feststellen, daß diese Haushaltsberatungen für mich die bisher härtesten waren“, hatte Finanzsenator Claus Grobecker in seiner Einführungsrede festgestellt. „Schwerstarbeit“ sei das gewesen für alle Beteiligten. Und dann gab es ein paar kleine Watschen für die Kol
legen SenatorInnen. Die Stellenanforderungen seien atemberaubend gewesen. „Wie überhaupt das Gespür für die Finanzlage Bremens völlig abhanden gekommen zu sein scheint“. Und so liegt die Steigerung des Haushaltes mit 4,9 Prozent gegenüber dem Jahr 1989 weit oberhalb der Empfehlungen des Landesfinanzrates. (Zum Vergleich: Die Steigerungsrate in anderen Bundesländer liegt bei 3,6 Prozent.) Ursächlich dafür sind aber weniger die Begehrlichkeiten der KollegInnen, als die „erschreckende Zunahme“ (Grobecker) bei den Sozialhilfekosten (13,8 %) und den Zinsen (6,4%). Die Schallmauer von einer Milliarde Neuverschuldung konnte nur deshalb erneut knapp unterboten werden, weil der Senat einfach eine Minderausgabe von 175 Mio eingesetzt hat; diese Sparquote muß im kommenden Jahr erst noch erwirtschaftet werden. Fazit des Senators, nachdem er eine halbe Stunde vorwiegend mit schwarzer Farbe gemalt hatte: „Wir sollten jedoch nicht in Trübsinn verfallen. Das Pendel schlägt langsam zum Norden aus. Bremen hat seine Zukunft noch nicht hinter sich.“
Die direkte Schelte an den Kol
legen im Senat hatte Grobecker dem SPD-Haushaltssprecher Wolfgang Klatt überlassen. „Disziplinlosigkeit im Haushaltsgebahren“ konstatierte der und nahm sich dann Sozialsenator Scherf kräftig vor. Der habe nach wie vor noch kein inhaltliches Konzept für die Arbeit der „Zentralstelle für die Integration zugewanderter Bürgerinnen und Bürger“ vorgelegt. Deshalb wurden Haushaltsmittel von 400.000 Mark zunächst gesperrt. Zweite Ohrfeige: Der Haushaltsausschuß habe ein Konzept für die „Neuordnung der Sozialen Dienste“ verlangt und nicht erhalten. Folge: Zehn Stellen gesperrt. Klatt zu den NOSD-Folgen: „Die Verwaltung war mächtiger, der Weg zum Bürger wurde länger. Ich kann nur sagen: Eine Chance wurde vertan.“
CDU-Fraktionssprecher Peter Kudella ging es ganz grundsätzlich an. „Die Erkenntnis, daß die Karre total in den Dreck gefahren ist, daß die SPD zum Umsteuern nicht die Kraft hat, hat bei Senatsmitgliedern zur totalen Frustration und zur Unlust geführt.“ Bausenator Kunick sei „ein Null -Bock-Senator“. Sein Fazit: „Bremen wird weit unter Wert re
giert.“
FDP-Fraktionschef Claus Jäger ortete beim Senat Inkompetenz und Geldverschwendung. Die Zerschlagung des Bauressorts, das Behördenraumkonzept und das Schulstandortprogramm
waren für ihn Beleg, daß Wedemeier seiner Führungsrolle nicht gerecht werde, sondern mit schlechtem Beispiel vorangehe. Jäger: „Sie haben in der Senatskanzlei keine Stellen eingespart, sondern kräftig ausgeweitet.“ Bremen sei nur legitimiert von
Dritten Hilfe zu fordern, wenn es alle eigenen Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung unternommen habe. Und das heißt für die FDP allemal auch Privatisierung.
Dagegen meinte der Grüne Paul Tiefenbach, daß Bremen aus eigener Kraft die Schulden niemals werde abbauen können. Tiefenbach: „Ein Sparhaushalt, egal welche Partei ihn durchführt, könnte nur den endgültigen Finanzkollaps um einige Jahre hinauszögern. Saniert werden kann Bremen nur durch Hilfe von außen.“ Trotz der Finanzkrise verlangen die Grünen vom Senat ernsthaftere Anstrengungen zum Beispiel in den Bereichen Energie- und Verkehrspolitik.
Politisch interessant könnte es werden, wenn ein Entschließungsantrag der Grünen abgestimmt wird. Unter bewußter Auslassung politischer Differenzern wird dort festgestellt, daß eine Entschuldung des Landes nur durch Bundeshilfe zu gewährleiten ist. Ein Angebot zur finanzpolitischen Zusammenarbeit, daß die SPD wegen der Deckungsgleichheit mit eigenen Vorstellungen kaum wird ablehnen können.
hbk
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