: Noch steuert die KP den Fortschritt Bulgariens
Neuer Vorsitzender Mladenow legt ein Aktionsprogramm mit Parteitag im März, Wahlen im Mai und einer neuen Verfassung vor / Halb Perestroika, halb Konservativismus / Führender Rolle der KP noch nicht abgeschworen / Opposition gerät unter Zeitdruck ■ Aus Sofia Erhard Stölting
Daß Bulgarien in Bewegung geraten ist, hat sich inzwischen bis nach Nordkorea herumgesprochen. Alle Studenten aus dem Reich Kim Il Sungs sollen jetzt sofort nach Hause kommen, aber viele wollen nicht. Die Unabhängige Studentische Vereinigung (NFB) unterstützt sie. Zum Ende der stillen Versammlung, die sich seit Montag auf dem symbolbeladenen Platz zwischen Dimitroff-Mausoleum, ehemaligem Königspalast und ZK-Gebäude vormittags und nachmittags für je eine Stunde einfindet, forderte sie für ihre nordkoreanischen Komilitonen Flüchtlingsstatus und entsprechende Unterstützung.
Im ZK-Gebäude wird inzwischen weiter getagt. Am Montag hielt Parteichef Mladenow seine große Rede, für die ein russischer Journalist die bündige Interpretation fand: ein Kompromiß zwischen radikaler Erneuerung und Stabilisierung. Charakteristisch war eine gewisse Unverbindlichkeit. Mladenows Aussagen zu Artikel1 der Verfassung, der die „führende Rolle der Partei“ festlegt, waren zunächst, daß die Partei bereit sei, auf diesen Artikel zu verzichten. Die Partei solle ihre führende Rolle nicht durch Gesetze und administrativen Zwang, sondern durch überzeugende politische Arbeit sichern. Auch auf der Pressekonferenz am Montag abend war einem Sprecher der Partei dann nicht zu entlocken, ob der Verzicht auf Artikel1 am nächsten Donnerstag der Nationalversammlung als Antrag auf Verfassungsänderung unterbreitet wird oder ob er im Zuge der neuen Verfassung, die im Laufe des Jahres 1990 erarbeitet und verabschiedet werden soll, verschwindet.
Ähnlich ungenau waren Mladenows Aussagen zum „Dialog“ oder gar zum „runden Tisch“, der auf den Demonstrationen gefordert worden war: Der Dialog beginne sofort, wenn die anderen Kräfte zu ihm bereit seien. Wann er beginnt, wurde nicht gesagt. Mladenows Absicht, freie Wahlen im Mai stattfinden zu lassen, stößt bei den Unabhängigen auf großes Unbehagen. Sie können sich erst seit dem 10.November, dem Sturz Schiwkows, frei organisieren. Das Anschwellen der Bewegungen, das sich in diesen Tagen verstärkt, erschwert zusätzlich den Aufbau von Strukturen. Die Aktivisten haben einfach keine Zeit. So wissen sie, daß sie bis Mai kaum organisatorisch fähig sein werden, die politischen Talente zu sammeln und einen Wahlkampf zu führen.
Bei aller Zweideutigkeit hat Mladenow jedoch eindeutige Richtungen vorgegeben, hinter die er und sein Zentralkomitee kaum noch zurückkönnen. Er war präzise im Tadel des Systems Schiwkows, das er als „Entstellung des Sozialismus“ geißelte. Immerhin hat es Bulgarien mit acht Milliarden Dollar bei westlichen Gläubigern in die Kreide gebracht. Der alte Parteiführer sei Mittelpunkt einer „Kamarilla“ gewesen, die die Diktatur an sich gerissen und zunehmend familiäre Züge entwickelt habe. Das sinkende Wirtschaftswachstum, die strukturellen Disproportionen, die verfahrene Finanzsituation und das Sinken der Effektivität sei Folge der „Kommandowirtschaft“ gewesen, die, so Mladenow wörtlich, auch zu einer „ökologischen Krise geführt“ habe. Dogmatismus, Subjektivismus und Korruption im geistigen Leben seien ebenfalls nicht länger tragbar. Das Ziel, das der Kritik am Alten entspricht, soll der „wahre Sozialismus“ mit einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ sein. Er soll, um die Formel, die gerade in Umlauf gebracht wird, hier zu zitieren, „eine moderne Demokratie und ein sozialistischer Rechtsstaat“ sein. Das könnte allerdings die Dialogbereitschaft in Grenzen halten. Sie beschränkt sich nämlich auf einen konstruktiven Dialog mit allen gesellschaftlichen Kräften, die „auf den Positionen des Sozialismus, des Rechtsstaats und des Patriotismus“ stehen. Konkret schlug der Parteichef ein Aktionsprogramm vor: ein außerordentlicher Parteitag am 26.März 1990, ein neues Wahlgesetz und Wahlen im Mai; eine Sitzung im Januar, die sich mit der wirtschaftlichen Stabilisierung, den sozialen Probleme und der Verringerung der Staatsausgaben beschaffen soll. Eine neugewählte Nationalversammlung soll sobald wie möglich eine neue Verfassung verabschieden.
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