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EIGENTUM DER WUNDEN

■ Via Lewandowskys „Porträts zur Euthanasie“ in der NGBK

Watte ist zwischen Bild und Rahmen gequetscht: Da muß etwas gedämmt, gestillt, beruhigt werden. „Acht Porträts zur Euthanasie“ von Via Lewandowsky zeigen schmerzhafte Angriffe: Eine Zunge wird zwischen zwei Stäben wie durch eine Mangel gequetscht, Holzbretter einem Menschen unter die Achsel geklemmt, eine Nase von Stäben eingeschnürt. Lewandowsky hat diese Akte der Deformation und Verkrüppelung nicht erfunden: Es sind in Ausschnitten vergrößerte Abbildungen aus alten Lexika und einer medizinischen Handbibliothek der zwanziger und dreißiger Jahre. „Reproduktive Malerei“ nennt Lewandowsky dieses Verfahren. Die dünnen Linien der Zeichnungen fließen in der Vergrößerung zu breiten Flecken auseinander, wachsen zu dichten Geflechten. Sie werden zu verwundbaren Zonen, jeder Punkt signalisiert Schmerz. Die medizinischen Anleitungen der vorgeblichen Heilung entpuppen sich als Protokolle der Folter. Die Apparate, in die die Menschen gespannt werden vielleicht zur Korrektur von Körper-Haltungen oder zur Still -Legung revoltierender Körper -, tragen für Lewandowsky die Signatur eines gewalttätigen Staatsapparates, der über Gesundheit und Krankheit normativ bestimmt und Leben und Sterben nach ökonomischen Regeln verordnet. Dies ist nicht bloß als historischer Kommentar zur Zeit des Faschismus und dessen Euthanasieprogramm gemeint, sondern meint jeden normativen Eingriff in das Leben.

Über die Zeichnungen läuft es dicklich gelb. Die Leinwände sind mit Acryl, Zelleim und Urin getränkt. Lewandowsky arbeitet mit einem Gemisch ambivalenter Empfindungen Angst, Faszination und Ekel -, die er mit den Bildern transportiert und dem Betrachter aufzwingt. Die bepißten Leinwände sind Zeugnisse panischer Selbstauflösung erstarrter Angstausfluß angesichts der fremden Qual. Mit dem Urin markiert Lewandowsky aber auch - gleich einem Hund die Bilder als sein unangreifbares Reich; aus anderen Bildern starren spitze Nägel und zwingen zur Distanz. Lewandowsky grenzt sein Territorium mit eisernen Reitern ab, verteidigt seine Kunst mit grausamen feudalistischen Gesten. So rächt er sich für sein Erschrecken und Entsetzen über die Verletzungen mit Drohungen, zieht aus der Angst die Lust an Gewalt und Macht.

Lewandowsky und die Neue Gesellschaft für Bildende Kunst haben schon bei der Ausstellung „Zwischenspiele - Junge Künstler und Künstlerinnen aus der Deutschen Demokratischen Republik“ zusammengearbeitet. Kurzfristig organisierte die NGBK jetzt für ihn eine Einzelausstellung. In den „Zwischenspielen“ war er am „Menetekel“ beteiligt: einem Ensemble verrottender Kuhfüße und zerfleddernder Pergamente, in dem eine elektromagnetische Maschine unermüdlich und sinnlos arbeitete, eine Installation der Gruppe der Autoperforationsartisten. Mit dieser Gruppe hat Lewandowsky in Dresden, Leipzig und Berlin seit 1987 performanct: dokumentierende Fotografien im Katalog belegen die Nähe zwischen den erst 1989 ausgeführten „Porträts der Euthanasie“ und den Aktionen, die den gleichen Bildern der Verkrüppelung, Bandagierung, Einzwängung folgten.

Katrin Bettina Müller

Via Lewandowsky „Sie können nichts schreien hören. Acht Porträts zur Euthanasie. Reproduktive Malerei“, NGBK, bis 14. Januar, 23.12. bis 1.1. geschlossen.

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