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Pappbetten - nicht von Pappe

■ Der alte Trend: Mit Pappe den Plüschsessel verbilligen, der neue Trend: Die Papp-Wohnung

Jetzt hat der Pappmöbeltrend endgültig die Pappmöbel-Provinz erreicht: Gestern abend feierte im ersten Stock über der Sielwallkreuzung das erste hiesige Spezialgeschäft Eröffnung. Außer den Salzstangen und den Stahlrohrsystemen war fast alles - aus Pappe. Im Angebot bei „Floyd“: wackelfreie weißlackierte Zwei-Meter-Tische und Regale, Treppenabsätze und dorische Säulen

(einst für Schaufenster und Messen konzipiert), stabile Hocker, Betten - und alles aus schön designter Pappe. Eine Woche lang konnten avantgardistische BremerInnen bei Floyd auch vor der Feier schon einkaufen. Mit-Inhaber Andre Kisjeloff bescheinigt ihnen: „Die Begeisterung ist da und die Verwunderung, daß es sowas gibt. Aber die Leute sind vorsichtig. Die Kaufentscheidung

fällt meist erst am zweiten Tag.“ Er selbst ist konsequent in Pappe und Stahlrohr eingerichtet: „Im Selbstbausystem. Kreativ. Jedes Möbelstück, daß Dir zu einer Wohnung einfällt, kannst Du Dir gestalten.“

Die mutige Kundin trägt das zusammengelegte und vorgefalzte Pappmöbelstück in einem Pappkarton nach Hause. Zu Hause schält sie es aus dem Pappkarton und baut es mit vereinten Kräften auf. Falls ihr der Papptisch nach einigen Monaten oder Jahren über oder schlicht zu siffig geworden ist, z.B. vom vielen Kaffee, der in die Ritzen gesickert ist, läßt sie den Papptisch dahin wandern, wo der Pappkarton auch

schon ist: ins Altpapier. (Sie kann mittels einer Glasplatte das Ende ihres Papptisches aber auch um Jahre hinauszögern.) Pappmöbel sind ausgesprochen günstig, den Zweimeter-Tisch gibt es schon ab hundert Mark.

Der erste, der vor vier Jahren Papp-Möbel in Bremen einführte, war „Popo“ (Auf den Häfen). Schließlich ist Pappe ein Material mit dem fast jede angehende InnenarchitektIn konfrontiert ist und mit dem führende Möbel-Designer sich einen Namen gemacht haben. Mitinhaber Horst Dierking über das „Feeling“ der Pappöbel-Kundschaft: „Die möchten was anderes haben. Was einfaches. Was logisches.“ Was bleibe

jungen Leuten schließlich übrig, wenn sie sich nicht so „spießig“ einrichten wollten wie ihre Eltern, und die „spießigen“ IKEA-Möbel, WK-Möbel oder Antikes schon zur Genüge vom Elternhause kennen würden. Da bleibe doch nur noch die Alternative „Sperrmüll oder - Pappe“.

Neben diesem „öffentlichen“ Trend zum Papptisch, gibt es jedoch einen viel älteren, „heimlichen“: Denn schon so manche, die ihren günstigen Plüschsessel von „Meyerhoff“ oder ihr hübsches „IKEA„-Sofa näher untersucht hat, konnte zu ihrem Schrecken unter dem Bezug nichts entdecken - als Pappe.

B.D.

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