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Schamloser Opportunismus

Die SPD und die DDR  ■ K O M M E N T A R

Die von Willi Brandt und Egon Bahr konzipierte und realisierte Entspannungspolitik der SPD war unzweifelhaft die richtige Antwort auf den kalten Krieg und die jahrzehntelange Ignoranz gegenüber den Völkern Osteuropas. Falsch an der konkreten Gestalt dieser Politik war von Anfang an die fast neurotische Fixierung auf die Nomenklatura, d.h. die kommunistischen Parteien, ihre Bürokratien und die damit einhergehende Weigerung, die demokratische Opposition zur Kenntnis zu nehmen und mit ihr genauso Beziehungen zu pflegen wie mit den Herrschenden. In Osteuropa muß man erst am Regierungstisch sitzen, bevor man von der SPD ernstgenommen wird. Das ist allein schon durch das (Nicht-)Verhältnis der SPD zu Solidarnosc in den letzten zehn Jahren belegt. Auch in der Außenpolitik der Sozialdemokraten geht Staatsfixierung vor jeder autonomen gesellschaftlichen Veränderung.

Dieses SPD-Dilemma wird mit dem Zerreißen des unsäglichen SPD-SED-Papiers und dem opportunistischen Einstellen der Beziehungen zur sich reformierenden SED durch Hans-Jochen Vogel fortgesetzt. Sicher, in der DDR herrscht Wahlkampf, und insofern gibt es gute Gründe, der SED nicht neue Legitimation zu verschaffen, sondern es der DDR-Bevölkerung zu überlassen, die SED zur politischen Sekte zu wählen oder auch nicht.

Statt sich selbstkritisch mit der rein etatistischen Außenpolitik der vergangenen zwanzig Jahre auseinanderzusetzen, versucht die SPD jetzt sich aus der Verantwortung zu stehlen und ganz so, als ob nichts gewesen wäre, auf die SDP umzuschwenken. Dabei hat sich diese SDP bisher nur dadurch legitimiert, daß sie rechtzeitig „Hier sind wir“ gerufen hat. Der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel hat im nachhinein durch seine lächerliche Aufkündigung der Beziehungen zur SED - nach ihrer Reform - Rühes Vorwürfe bestätigt, wonach die SPD sich bei den Herrschenden in der DDR immmer nur angebiedert habe. Was jetzt bei der SPD im Verhältnis zur DDR-Innenpolitik begonnen hat, ist der alte, schon aus Portugal und Spanien bekannte sozialdemokratische Politimperialismus. Die Frage danach, welche eigene gesellschaftliche Verankerung die Sozialdemokraten der DDR (SDP) tatsächlich haben, kann man heute schon, acht Wochen nach dem Umbruch in der DDR, nicht mehr beantworten. Denn sie ist jetzt nichts weiter als die Filiale der Vogel-SPD und innenpolitisches Instrument im bundesdeutschen Wahlkampf der SPD um die politische Hegemonie auf der Rutschbahn in die deutsch-deutsche Neuvereinigung.

Sozialdemokraten betonen immer die Selbstbestimmung. Ihre faktische Einmischung, dazu gehören die angekündigten Wahlkampfauftritte in der DDR, machen jedoch die Selbstbestimmung zur Farce. Daran ändert sich überhaupt nichts, wenn man konzidiert, daß auch andere westdeutsche Parteien versuchen, der DDR regelrecht eine Kopie des westdeutschen Parteienspektrums aufzudrängen. Christa Wolf hat gegenüber Fritz J. Raddatz in der letzten 'Zeit‘ im Zusammenhang mit der emotionalisierten Wiedervereinigungsdiskussion fast flehentlich gebeten: „Wir haben viel Gemeinsames. Aber wir haben auch etwas Eigenes; und sei es unser Versagen, das dazu gehört. Lassen Sie uns das, und lassen Sie uns das alleine aufräumen... Ich - und wohl im Moment hier niemand - weiß, wie es geht, wirtschaftlich, moralisch; ob Sozialismus funktioniert, wen man wählen soll, wohin das Land rückt. Aber laßt es uns rücken - und drückt nicht.“

Die politische Klasse der Bundesrepublik hat kein Recht, der DDR ihre eigenen politischen Strukturen aufzudrücken. Die Demokratie im anderen deutschen Staat ist nicht daran gekoppelt, daß eine Kopie des bundesdeutschen Parteienspektrums entsteht. Im übrigen muß sich die SPD den Vorwurf gefallen lassen, daß sie einzig aus der panischen Angst heraus, die nächsten Wahlen zu verlieren, noch nicht einmal das ihr eigene Selbstverständnis für die DDR gelten lassen will: „demokratischen Sozialismus“. Bisher jedenfalls fehlt jede deutliche öffentliche Stellungnahme der Partei, wonach sie selbstverständlich eine demokratische Entscheidung der DDR-Bevölkerung für einen Sozialismus akzeptiere.

Max Thomas Mehr

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