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Der Tanz in den Tod

■ Die größte Brandkatastrophe Berlins nach 1945 fand zwei Jahre nach Kriegsende statt: 82 Tote nach Brand in Spandauer Tanzlokal

Die verheerendste Brandkatastrophe in Berlin, Kriegszerstörungen ausgenommen, fand nicht an diesem Wochenende, sondern am 8. Februar 1947 statt. Das Tanzlokal „Karlslust“ in der Hakenfelder Straße, Spandau, brannte völlig aus, 82 Menschen starben und 15O wurden schwer verletzt. Die zum Teil nie identifizierten Opfer wurden in einem Sammelgrab auf dem Spandauer Friedhof „In den Kisseln“ begraben, noch heute werden dort Kränze und Blumen niedergelegt. Die genaue Brandursache, unsachgemäß installierte Öfen oder Kurzschluß, wurde nie festgestellt. Die Staatsanwaltschaft ermittelte ergebnislos. Im Mai 1947 wurde das Verfahren eingestellt. Was war damals geschehen, und vor allem: Warum wurde die Feuerwehr erst 30 Minuten nach Ausbruch des Brandes informiert?

Damals, in einer bitterkalten Nacht, in einer Zeit voller Entbehrungen und Hunger feierte die Sportgruppe „Spandau -Neustadt“ ein Kostümfest im Gaststättengelände Julius Loebel. Angemietet war das „Karlslust“, ein Tanzlokal mit Haupt- und Nebensaal, beide Räume ausgestattet mit Holzdecken und holzverkleideten Wänden. Vier Öfen standen in den beiden Räumen, und alle bullerten auf Hochtouren. Rund 1.000 junge Menschen tanzten Fox und Schieber. Um 22 Uhr 20 erlosch die Randbeleuchtung des Etablissements, die Kapelle spielte weiter, die Gäste nutzten die Dunkelheit, um ein bißchen enger zusammenzurücken. Fünf Minuten später fiel das Licht völlig aus, die Musik erstarb, die Gäste beklatschten die Frivolität. Plötzlich ertönte der Ruf „Feuer, Feuer“ 'die ersten Flammenzungen strichen über die Holzdecke. Die noch eben ausgelassen Tanzenden stürzten in heller Panik zum Hauptausgang. Dort vor der Garderobe spielten sich schreckliche Szenen ab. Die fliehenden Gäste wurden von den beizenden Rauchwolken eingeholt, Ohnmächtige sanken zu Boden und wurden von Fliehenden niedergetreten. Verstärkt wurde das Chaos durch Gäste, die nach dem ersten Schock sicher die Räume verlassen konnten, draußen in der Kälte aber ihre Mäntel vermißten und zurück zur Garderobe eilten. Mäntel waren 1947 und bei 25 Grad minus fast so kostbar wie das Leben. Sowohl am Haupteingang als auch in den Tanzsälen verkeilten sich die Menschen ineinander, die Notausgänge waren nicht zu finden, die vier einzigen Fenster waren mit Eisenstäben bombenfest vergittert. Das Gaststättengelände war bis 1945 als russisches Kriegsgefangenenlager genutzt worden, jetzt rächte sich die „ausbruchsichere“ Architektur.

Um 22 Uhr 40 stürzte der erste brennende Dachbalken in den Tanzsaal und begrub viele Menschen unter sich. Erst jetzt erschien der erste Löschzug der Feuerwehr, ein alliiertes Fahrzeug. Eine weitere halbe Stunde dauerte es, bis die sechs deutschen Löschwagen am Brandherd erschienen. Sie hatten mit extremen Schwierigkeiten zu kämpfen, die Hydranten waren vereist, eine Motorspritze defekt, ein Spezialfahrzeug blieb auf dem Weg zur Hakenfelder Straße liegen. Massive Vorwürfe wurden unmittelbar nach dem Brand gegen die Feuerwehr erhoben. Ein eigens eingesetzter Untersuchungsausschuß ermittelte später, daß nie ein Notruf eingegangen war, daß die Feuerwehr erst durch das Polizeirevier 142 am Fehrberliner Platz informiert wurde. Wer die Engländer benachrichtigte, ist bis heute ungeklärt.

ak

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