: König Mompers AL-Vasallen murren
AL-Politiker drohen mit Bruch der Berliner Senatskoalition / Mompers Zugeständnisse an Kohl verärgern die Basis der Alternativen / Stromtrasse und Deutsches Historisches Museum sollen durchgepeitscht werden / Regierender versichert seinerseits Koalitionstreue ■ Von A.Böhm/H.-M.Tillack
Berlin (taz) - „Formal regieren, faktisch tolerieren und praktisch opponieren“ - so beschrieb ein Mitglied der Alternativen Liste Berlins (AL) auf der Vollversammlung am Samstag den Zustand seiner Partei. Unmutsäußerungen der Parteibasis über die Regierungsbeteiligung sind zwar nichts Neues, doch mittlerweile scheint die Frustrationsgrenze auch bei den Parlamentariern der AL erreicht. Zunehmend verärgert sind die Alternativen über den Regierenden Bürgermeister Walter Momper vom Koalitionspartner SPD, der auf einer gesamtdeutschen Popularitätswelle schwimmt und sich als „König von Berlin“ immer wieder Alleingänge erlaubt. Auf der nächsten Mitgliedervollversammlung im Januar sollen notfalls Konsequenzen gezogen werden. „Dann wird die Koalitionsfrage zu stellen sein“, erklärte die AL-Fraktionsvorsitzende Heidi Bischoff-Pflanz am Samstag.
Momper reagierte postwendend und versicherte gestern am Rande einer SPD-Vorstandssitzung in einem Fernsehinterview, man werde an der Koalitionsvereinbarung festhalten. Die sei für vier Jahre getroffen, „und dazu stehe ich“. Allerdings könne er „notwendige“ Entscheidungen wie zum Beispiel die Stromtrasse nicht immer wieder mit Rücksicht auf die AL verschieben.
Ausgelöst hat diese jüngste Koalitionskrise kein geringerer als Kanzler Kohl in Bonn. Momper hatte Kohl am 1. Dezember versprechen müssen, noch in diesem Monat Entscheidungen über zwei in der Koalition umstrittene Projekte zu treffen. Dabei geht es um den Anschluß West-Berlins an den innerdeutschen Stromverbund und um das Deutsche Historische Museum (DHM). Kohl verlangte diese Zusagen von Momper, so heißt es in der Berliner SPD, als Gegenleistung für zusätzliche Bonner Finanzhilfen für die von DDR-Besucherströmen gebeutelte Stadt.
In einer Sondersitzung am Mittwoch will Momper nun, wie er in der SPD-Fraktion zu verstehen gab, beiden Vorhaben das Plazet des Senats verschaffen. Insbesondere die AL lehnte jedoch bisher sowohl Stromtrasse als auch Museum ab. Doch die Alternativen müssen erneut eine Demütigung fürchten. Denn Momper hat intern bereits klargemacht, daß er nicht einmal zu den Kompromissen bereit ist, die AL -Umweltsenatorin Schreyer vorgeschlagen hatte: eine abgespeckte Trassenplanung für die Stromleitung sowie ein alternativer Standort für das Museum. Momper dagegen beharrt nicht nur darauf, die Hochspannungsleitung quer durch ein Berliner Waldgebiet zu ziehen; er will auch das Museum am Spreebogen nahe dem Reichstagsgebäude bauen, an der Stelle, die sich auch Kanzler Kohl für „sein Museum“ gewünscht hatte. Sollten die drei AL-Senatorinnen wieder überstimmt werden, warnte die AL-Politikerin Bischoff-Pflanz auf der AL -Versammlung, „packen wir unsere Sachen und gehen“. Ob freilich die drei Senatorinnen dieser Aufforderung am Mittwoch folgen werden, bleibt zweifelhaft. Schreyer verwies am Samstag auch auf Erfolge ihrer Politik. Der rot-grüne Berliner Senat sei „die einzige Landesregierung“, die gegen Bonner Wiedervereinigungsgelüste Front mache. „Seid euch dieser Verantwortung bewußt“, mahnte die grüne Politikerin ihre Basis.
Empfindliche Niederlagen mußten die Alternativen in den letzten Wochen aber auch im Bereich der Immigranten- und Flüchtlingspolitik einstecken. Für die AL um so bitterer, als eine progressive Ausländerpolitik immer wieder als Argument für die Regierungsbeteiligung angeführt wurde. So wurde die Flüchtlingsweisung vom 20. Juni, von Kirchen, Wohlfahrtsverbänden und Bürgerrechtsorganisationen als „Magna Charta“ gepriesen, in einer nun „präzisierten Version“ von Innensenator Erich Pätzold (SPD) so weit demontiert, daß er bereits Lob von der CDU einheimste.
Inzwischen denken auch vormals überzeugte Koalitionsbefürworter innerhalb der AL laut über einen Abgang aus der Regierung nach - aber wenn schon, dann mit Stil. Auch seine Geduld sei zu Ende, erklärte Christian Ströbele am Samstag auf der Vollversammlung der AL. „Aber wir brauchen einen geordneten Rückzug. Dann kriegen wir auch unsere zwölf Prozent wieder.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen