: Bürgerinitiative für die Wiedervereinigung
Gründungsparteitag des „Demokratischen Aufbruchs“ (DA) in Leipzig / Wendungen in der Opposition / Spaltungstendenzen und Austritte ■ Aus Leipzig R.Rosenthal
Die Berliner Delegierte Angela Kunze kennt ihre Partei nicht wieder. Einen Monat lang hat sie in der Sowjetunion die ursprünglichen reformsozialistischen Inhalte des „Demokratischen Aufbruchs“ (DA) vertreten. „Jetzt ist das eine Bürgerinitiative für die Wiedervereinigung“, sagt sie fassungslos.
Als ihre Gründer im September an die Öffentlichkeit gingen, machte das Wort von der „Partei der Pfaffen und Advokaten“ die Runde. Die links-ökologische Grundsatzerklärung und der zielbewußte Organisationsaufbau ließ ihre Mitgliederzahl schnell auf etwa 10.000 wachsen. Die ersten sind inzwischen ausgetreten. Von kräftezehrenden Flügelkämpfen war im Vorfeld des Parteitags die Rede. Zwischen „linken Visionären“ um den Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer und „kühlen Pragmatikern“ vom Berliner Parteivorstand polarisieren sich Strömungen. „Sind wir zu weit rechts oder zu weit links?“ fragte der bisherige Vorstandschef Wolfgang Schnur die knapp 250 Delegierten im Versammlungssaal der „Leipziger Information“ am vergangenen Samstag.
Man müsse genauer acht geben, „wem wir unsere Schultern zum Draufklopfen hinhalten“, warnte die Leipziger Delegierte Brigitte Moritz. Was die Vertreter der freien Marktwirtschaft verkörpern, sei „uns zu wenig sozial und ökologisch“, meinte Brigitte Moritz. Andere Töne schlug die starke Fraktion der Wiedervereiniger aus dem Süden der DDR an. Der Erfurter Gerald Witterberg erntete starken Beifall, als er sagte: „Die Planwirtschaft ist tot, wir wollen diese Leiche nicht wiederbeleben, keine sozialistischen Experimente mehr!“
Es macht sich bemerkbar, daß der DA mit dem Anspruch antrat, „die neue Partei des Volkes“ zu sein. In den Basisgruppen verlangt man einfache Lösungen. Das Volk nicht belehren, sondern seine Wünsche pragmatisch umsetzen ist die Devise. Der Leiter der Programmkommission des DA, der Erfurter Theologe Edelbert Richter, drückt das vorsichtig aus: „Wir müssen das nationale Thema für uns fruchtbar machen und so der extremen Rechten das Wasser abgraben.“ Unter dem Wind populistischer Stimmungen hat der DA seine Richtung geändert. Ein Delegierter aus Gera forderte denn auch die klare Absage an den Sozialismus und die klare Aussage für die deutsche Einheit. Die Mehrheit der Delegierten sprach sich dann am Nachmittag dafür aus, das Recht der Deutschen zur Einheit in die Verfasung der DDR aufzunehmen.
Dabei geht es nicht nur um Stimmenfang für die Wahlen im Mai 1990. Machtbewußte DA-Mitglieder peilen sogar den Wahlsieg an. „Die Opposition ist in der Lage, dieses Land zu regieren“, meinte der Berliner Historiker Erhart Neubert. Als gefährlich und verantwortungslos kritisiert wurde jedoch die Forderung des Berliner Pfarrers Rainer Eppelmann nach dem Rücktritt der Regierung Modrow. Niemand sei in der Lage, ein dadurch entstehendes Machtvakuum auszufüllen. Bei der Analyse der Situation ist man sich einig. Der SED und den „roten Blockparteien“ wird die Schuld an der Krise gegeben. Daß die Aufrichtung am politischen Gegner die eigene Profilierung ersetzen könne, glaubt jedoch niemand. Eine entsprechende Präambel im Parteiprogramm soll deshalb umgeschrieben werden. Begrüßungsworte gaben die Vertreter der Westparteien von sich. Rita Süssmuth erntete Bravo-Rufe, als sie die Anerkennung der Volkskammer bis nach dem Wahltermin 1990 verschob.
Hertha Däubler-Gmelin (SPD) fand die friedliche Revolution in der DDR toll, und Norbert Blüm (CDU) gab seinen persönlichen Wunsch nach Wiedervereinigung zum Besten. „Ich empfehle der Deutschen Bank, in die DDR zu investieren“, sagte er in Pausengesprächen. Davor jedoch haben Delegierte aus DDR-Betrieben eher Angst. Nachdem Sprecher der Bezirksparteigruppen am Samstag abend Berichte aus den Regionen gegeben hatten, folgte eine chaotische Verfahrensdiskussion. Schließlich einigte man sich auf die Diskussionsschwerpunkte Deutschlandpolitik und Wirtschaft.
In der Perspektive einer Vertragsgemeinschaft, später einer Konföderation beider deutscher Staaten und dann einer Föderation in einem blockfreien und entmilitarisierten Deutschland in den heutigen Grenzen war man sich weitgehend einig. Am deutlichsten wurde der Zusammenhang der nationalen wie der wirtschaftlichen Frage im Beitrag des Berliner Delegierten Johannes Schönherr: „Wollen wir den Werten des Westens folgen, sollten wir uns nicht zieren und zur BRD übergehen. Wollen wir neue soziale und ökologische Werte installieren, sollten wir einen alternativen Weg suchen“, sagte er. Die DDR dürfe nicht zum Billiglohnland und zur Westmüllhalde degenerieren. Am Sonntag nachmittag wurde der Parteitag des DA in einem Dutzend Arbeitsgruppen fortgesetzt.
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