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Aufrecht, gehend, nachdenklich, mit Schirmmütze

■ Über die Kunstfertigkeit beim Bau von Leninstatuen: Ein Bildhauer nimmt Abschied von „Wolodja“ / Für Lenin-Denkmäler sind nur vier Posen erlaubt / Ein Versehen hie und da erstaunt die Denkmalbetrachter / Die Branche floriert nach wie vor

Moskau (afp) - Bis vor zweieinhalb Jahren wurden die Werke von Wassili überall in der Sowjetunion mit großem Pomp aufgestellt. Seitdem hat der Bildhauer nicht eine einzige Statue mehr hergestellt, denn seine frühere Hauptbetätigung ist ihm verleidet: Wassili war einer von 63 offiziell anerkannten Lieferanten sowjetischer Lenin-Denkmäler.

Mit leichtem Abscheu spricht er heute von seiner damaligen Arbeit. „Als ich meine Frau Galia kennenlernte, habe ich mich nicht getraut, ihr die Wahrheit zu sagen. Ich habe ihr erzählt, daß ich Lieferant von Wolodjas bin“, meint der rundliche Wassili. Wolodja ist der Kosename für Wladimir Iljitsch Lenin, den „heldenhaften Gründer der Sowjetunion“, wie er offiziell heißt. Für den ehemaligen Wolodja -Produzenten aber ist das Kapitel Lenin inzwischen abgeschlosssen.

Dabei ist die Bildhauerei im offiziellen Auftrag trotz Perestroika noch immer ein überaus rentables Geschäft. Jede halbwegs bedeutende Stadt nennt mindestens eine Lenin-Statue ihr eigen, die meisten Ministerien, Schulen und Krankenhäuser präsentieren stolz eine Büste des Revolutionärs. Und für Kollektivbetriebe wie Kolchosen und Sowchosen ist das Aufstellen von Väterchen Lenin ohnehin Ehrensache.

Rein künstlerisch betrachtet bot die frühere Tätigkeit Wassilis allerdings wenig Reize. Die Ideologieabteilung des sowjetischen Kulturministeriums erlaubt nicht mehr als vier Posen, in denen der „große Mann“ dargestellt werden darf: Gestattet sind ausschließlich ein gehender Lenin, ein aufrechter Lenin mit seiner berühmten Schirmmütze in der Faust, ein nachdenklicher Lenin mit aufgestütztem Kinn und ein stolzer Lenin, die Hand an der Hüfte.

Wassili erinnert sich jedoch an den „kauernden Lenin“ in der Gegend von Rostow bei Moskau. Das aber sei ein Unfall gewesen: Ein Funktionär hatte die Statue bestellt und dabei ausdrücklich hinzugefügt, daß sie innerhalb eines geschlossen Raumes aufgestellt werden soll. Der „Lenin mit Schirmmütze“ fand sich jedoch am Ende auf dem Hauptplatz des Ortes wieder, wo sein allzu leichtes Gerüst allmählich den Witterungseinflüssen nachgab. „Er ist völlig zusammengeschrumpft“, erzählt Wassili lächelnd. Das Denkmal ist so berühmt, daß alle Welt Rostow nur noch „die Stadt mit dem kauernden Lenin“ nennt.

Das aber blieb ein Einzelfall und schadete dem weiteren Absatz nicht. Überdies, so Wassili, sei Lenin leicht herzustellen. „Sein Gesicht hat nichts Besonderes, außer vielleicht den scharfen Blick.“ Das Geschäft mit den Statuen floriert auch deshalb, weil sie immer tadellos erhalten sein sollen. Ramponierte Denkmäler werden nachts ausgewechselt, damit niemand es bemerkt.

Irrtümer kommen dabei vor: So staunten die Bewohner von Stalins Geburtsort Gori eines Morgens, als ihr Wolodja plötzlich zwei Schirmmützen hatte. Die Arbeiter, die den kotverschmutzten Kopf der Statue sauber abtrennten und gegen einen frischen mit Mütze austauschten, hatten nicht bemerkt, daß der Lenin von Gori seine Mütze in der Hand trug.

Wassili hat sich enttäuscht von der Bildhauerei zurückgezogen und hält sich heute mit Gelegenheitsarbeiten über Wasser. Ihm, der in rund vier Jahren mehr als 30 Leninstatuen vor allem für Moskau, die Ukraine und Weißrußland lieferte, sind seine Einheitsdenkmäler inzwischen ein Greuel. „Vielleicht“, sagt Wassili nachdenklich, „kommt die Inspiration irgendwann zurück.“

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