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Lollis statt Rock - ARD-(Alp-)traumhaft

■ Ab Januar wird „ARD-Nachtrock“ durch „ARD-Pop-Nacht“ abgelöst / Alan Bangs nur noch auf WDR 1 zu hören

Rock'n'Roll will never die“ - nicht so im öffentlich -rechtlichen Rundfunk: Auf Geheiß der Programmdirektoren wird mit dem ARD-Nachtrock eine der letzten Rockenklaven aus dem Radio verbannt. ARD-Pop-Nacht nennt sich die neue Produktion, die - wie der Name schon vermuten läßt mehr am sogenannten „breiten Popmusik-Geschmack“ orientiert sein wird und ab Januar auf Sendung geht.

Vier Jahre lang wurde den nächtlichen HörerInnen der ARD in der Zeit von 0.05 bis 2 Uhr (freitag, samstags und vor Feiertagen sogar bis 4 Uhr) ein vielfältiges und lebendiges Programm präsentiert, in dem das Diktat der Charts aufgehoben war. Gelegenheit für viele Moderatoren, musikalische Spezialitäten, aber auch Independentsstücke, New Wave und Verwandtes zu spielen.

Dieses Konzept stieß allerdings nicht überall auf Gegenliebe: Bereits nach zwei Jahren stieg der Südwestfunk (SWF) aus dem gemeinsamen Nachtprogramm aus und kreierte mit Lolli-Pop und Pop-Fit seine eigene, den Pop-Genres und vor allem dem SWF-3-Tagesprogramm angepaßte Nachtmusik, der sich zum 1.April 1989 auch der Bayerische Rundfunk (BR) anschloß. Der Lolli-Pop ist dabei das genaue Gegenstück zum Nachtrock, nach Meinung des Musikkritikers Teddy Hoersch ein „Dauerlutscher nach bewährtem Modell: Zwei, drei Charttitel, ein Oldie, nur nichts Unbotmäßiges.“

Der Ausstieg von zwei Sendeanstalten aus dem nächtlichen Rockprogramm beschäftigte denn auch die Hörfunkdirektoren auf einer Tagung am Rande der diesjährigen Berliner Funkausstellung - die Einheit der ARD schien in diesem Punkt gefährdet. Schnell war man(n) sich daher „dahingehend einig, daß der Nachtrock nicht so bleiben kann, wie er jetzt ist“ (Dr.Lüke, SDR-Hörfunkdirektor), und verabschiedete ein neues Programm - die ARD-Pop-Nacht. Dessen Konzept, auf das sich die verantwortlichen Unterhaltungs- und Programmchefs bereits im Vorwege verständigt hatten, sieht „eine abwechlungsreiche Mischung aus Alt und Neu im gesamten Pop-Genre“ vor und beschränkt sich im wesentlichen auf die „melodisch betonte internationale Popmusik der letzten dreißig Jahre“ (Dr.Seifert, SFB-Programmdirektor). Darunter verstehen die Programmchefs Pop-Rock, Deutsch-Pop, Oldies, aktuelle Charts-Titel, sofern sie nicht aggressiv sind“.

Damals wie heute erregten sich nämlich die Gemüter vor allem über die Produktion vom Westdeutschen Rundfunk (WDR), die bislang dienstags nacht über den Äther ging und der ein süddeutscher Radiomacher einmal bescheinigte, sie würde seinen HörerInnen regelmäßig Alpträume bescheren. Ihr Moderator Alan Bangs (Rockpalast und RockTL) versteht sich stellvertretend für andere eben nicht als munterer Plattenaufleger, sondern konzipiert seine Sendungen durch, läßt sie häufig ein Stück (Musik-)Geschichte erzählen und schreckt auch vor Titeln aus dem Hardrock- und Punk -Repertoire nicht zurück.

Bangs, der die neue Sendung wegen ihrer musikalischen Eintönigkeit nicht mehr moderieren wird, war auch der erste Nachtrock-Moderator, der sich öffentlich gegen die Entscheidung der Hörfunkdirektoren aussprach (s. taz v. 23.11.89). Inzwischen formiert sich weiterer Protest gegen diesen Schritt der ARD: So startete die Grün-Alternative Jugend (GAJ), die Jugendorganisation der Grünen, eine bundesweite Postkartenkampagne wider den „Versuch, Rockmusik und ähnliche Genres aus den Radioprogrammen zu verbannen“. Gegen „Musiksendungen, die sich nicht mehr an musikalischen Inhalten, sondern an Einschaltquoten orientieren“, so die GAJ, verwahrt sich ebenfalls der Deutsche Rockmusikerverband. Deren Bundesvorsitzender Ole Seelenmeyer sieht die Einstellung des Nachtrock in einer Reihe von weiteren Entscheidungen: „Der Kampf um die Einschaltquoten und Reichweiten zwischen den öffenlich-rechtlichen und privaten Rundfunkanstalten verführt die Programmgestalter dazu, der seichten Mainstream-Hitparaden-Ideologie breiteste Sendekapazität einzuräumen und alle anderen, künstlerisch durchaus anspruchsvollen Musikrichtungen zu unterdrücken bzw. abzusägen.“

Bei den betroffenen Moderatoren macht sich derweil Unmut, aber auch Resignation ob dieser Entwicklung breit. Als „extrem abwegig und unverständlich“ bezeichnet Axel Sommerfeld, Redakteur bei Radio Bremen 4, das Aus für das nächtliche Rockprogramm. Der Fernseh-Showmaster Lutz Ackermann (Euro-Paare), beim NDR für die Durchführung des neuen Konzeptes verantwortlich, wiegelt hingegen ab: Es sei „absoluter Unsinn, daß die neue Sendung keine Rockmusik mehr enthalten wird“.

Eines steht bereits fest, bevor die Pop-Nacht das erste Mal ausgestrahlt worden ist: Der gemeinsame Konsens aller neun Sendeanstalten wird trotz Reform nicht wieder hergestellt, da sowohl der SWF als auch der BR an Lolli -Pop festhalten werden. Die Programmänderung hat damit ihr eigentliches Ziel verfehlt. Und angesichts der Tatsache, daß ab 1990 wieder ein Stück weniger Platz für Rockmusik im Radio vorhanden ist, tröstet es auch nicht, daß Alan Bangs weiter auf Sendung bleibt: Samstag ab 22 Uhr mit einem neuen Programm, der Alan Bangs Connection. Um die schlechte Nachricht gleich mitzuliefern: Bangs wird nur noch in NRW zu hören sein, auf WDR 1.

Thomas Peick

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