: Heidegger in Ungarn-betr.: "Das Wohnen des Menschen", taz vom 12.12.89
betr.: „Das Wohnen des Menschen“, taz vom 12.12.89
Das sind ja ganz neue Töne. Der Marxismus erledigt - sei's drum. Daß aber die taz darum einen recht warmherzigen und kritiklosen Bericht von Frau Eva Kocziszky über eine Heidegger-Andachtstagung in Ungarn bringen muß, die selbst eine der beiden OrganisatorInnen und eine der Vortragenden war! Ich verstehe ja gut, daß Intellektuellengruppen in Ost und West, denen man ihr liebstes ideologisches Spielzeug genommen hat, gierig nach einem neuen greifen. Tiefes deutsches Denken samt „Himmel“, „Erde“ und „Ereignis“, von dem Heideggerfans meist nichts Besseres zu sagen wissen, als daß es epochal sei, hat ganz sicher Konjunktur. Aber auch für die taz? Sind wir schon so weit?
„Der Planet steht in Flammen. Das Wesen des Menschen ist aus den Fugen. Nur von den Deutschen... kann die weltgeschichtliche Besinnung kommen“ (Heraklit-Vorlesung, Sommer 1943). Dies deutsche „nur“, seine heiligste Konfession, hat Heidegger in immer neuen Varianten durchgespielt, im Stalingradwinter (Parmenides-Vorlesung) besonders feinfühlig als die in deutschem Größenwahn erdachte deutsche Selbstopferung: Allein die Deutschen seien berufen, in sakrifizieller Selbsterfüllung, „das Menschsein... für die Wahrung der Wahrheit des Seins“ zu opfern. Der „letzte Gott“, von dem Heidegger reichlich zu sagen hat, kann natürlich nur ein deutscher sein, der die griechischen Götter „ursprünglicher“ wiederholt. Das ist wirklich Heidegger: Die Artemis des Heraklit aus Ephesos (von Heidegger unbemerkt eine asiatische Fruchtbarkeitsgöttin), der Zeus des Heraklit (er „winkt“) und die Göttin Aletheia (Wahrheit) bei Parmenides (die bei Parmenides gar keine Göttin ist, sondern nur von einer Göttin mitgeteilt wird), würden sich „in unserer kommenden Geschichte“ noch verbergen (Heraklit-Vorlesung, Sommer 1943). Der christliche Gott ist ihm als Schöpfer eh nur ein Techniker, der zudem mit „Macht euch die Erde untertan!“ den Erdverwüstungsbefehl erteilt habe. Diese und beklemmend ähnliche Einfälle mehr, sollen die - geistigen - Wunden der Technik heilen. Mit der blanken Erfindung, daß die Technik samt ihrem Geist der „anfänglichen“ griechischen Philosophie entspringe, soll nämlich - gemäß dem zur Bauernregel verkommenen Wort Hölderlins: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ - zum Ende die Rettung durch die Deutschen kommen: durch sein eigenes deutsches Denken.
Wenn das nicht geil ist! Daran kann sich doch glatt der stärkste Bahro noch verschlucken.
Rainer Marten, Freiburg
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