Die Alptraumroute Lübeck-Bangkok

■ Regisseur Thorsten Näter erzählt von seinem Film „Sturzflug“ / Tristesse unter halbdokumentarischem Blick

Immer dann, wenn man kurz davor steht, endgültig am deutschen Film zu verzweifeln, gibt es wieder eine unabhängige, frische und ganz andere Produktion - auf daß wir die Hoffnung nicht ganz verlieren. Dieses Jahr ist es Thorsten Näters „Sturzflug“, ein witziger und bescheiden daherkommender Film über zwei Lübecker Hafenarbeiter, die sich mit einer Pauschalreise nach Thailand all ihre Träume erfüllen wollen, nur um schließlich, alleingelassen und wie begossene Pudel, im Dschungel herumzustehen.

Näter ist in Lübeck aufgewachsen, und man merkt dem Film an, daß er die Leute genau kennt, von denen er da erzählt.

taz: Man hat bei diesem Film schon sehr bald das Gefühl, da ist nur wenig ausgedacht, und alles stimmt. Wie hast du das geschafft?

Näter: Ich habe versucht, diese Figuren so zu schreiben, daß sie ein Eigenleben haben, dann für sich loslaufen, und ich sehe zu, was die machen. Und wenn du dann den Willy in eine Straße in Bangkok stellst, dann weißt du genau, was der denkt.

Wußtest du von Anfang an, daß

die beiden nach Thailand fahren würden?

Nein, zuerst stand die Geschichte der beiden Männer fest, und dann ging es darum, ein Podest zu schaffen, auf dem sie ganz deutlich werden. Dann erzählte eine Freundin aus Bangkok von dieser Tristesse, die ja nicht nur unter den Frauen herrscht, sondern auch die Männer bescheißen sich selber dort ganz unsäglich. Und da dachte ich: wenn die Kollegen jetzt noch ihr Geld zusammenkratzen und auf den Kopf hauen, um sich einen völlig be

scheuerten Traum einzulösen, und damit auch noch auf die Schnautze fallen, ja dann muß doch irgend etwas passieren. Als ich dann zum ersten Mal in Thailand recherchierte, habe ich in den deutschen Kneipen meine Protagonisten immer wieder getroffen, und es war ein schönes Gefühl, wenn dir die Leute mit ihren Stories dein Drehbuch erzählten, das du schon fast fertig geschrieben hattest.

Wie schwierig war es, in dieser halbdokumentarischen Art in Thailand zu drehen?

Ich finde es immer sehr problematisch, in der dritten Welt zu filmen, egal ob dokumentarisch oder einen Spielfilm. Ich wollte deshalb einen quasithailändischen Film drehen, mit einem Minimum an deutschem Personal, nur die beiden Schauspieler, der Tonmeister und ich haben Kamera gemacht, alle anderen waren Thailänder. Und dann habe ich mich sehr lange vorbereitet, um ein Vertrauensverhältniss zu schaffen, ohne das überhaupt nichts geklappt hätte. Bei diesem halbdokumentarischen System, mit wenig Schauspielern und vielen Laiendarstellern, kommt es darauf an, nicht soviel von sich und der Kamera herzumachen. Wenn man keine Selbstdarstellung von der eigenen Arbeit inszeniert, reagieren die Leute vor

der Kamera ganz natürlich, und wir behalten die Bescheidenheit, die nötig ist, um so mit Wirklichkeit umzugehen. Das hat übrigens in der Bar in Bangkok genauso gegolten wie für den Hafenbetriebsverein in Lübeck. Weil da hatten wir auch nichts zu suchen, da waren wir auch Gäste, mußten immer vorsichtig sein und ihnen vor allen Dingen klarmachen, daß man sie nicht verarscht. Es ist mir sehr wichtig, daß die Laien, die in meinen Filmen mitspielen, mit dem Film zufrieden sind. Der Betriebsrat vom Hafen ist zum Lübecker Bürgermeister gerannt und hat ihm gesagt:„Kuck dir mal den Film an, da siehst du unsere Arbeit“. Das war die beste Reaktion, die ich mir wünschen konnte.

Bei diesem Thema ist es sehr schwer, nicht ins Moralisieren zu verfallen. Das tust du nie, aber du enthüllst deine Hauptpersonen.

Es gibt für jeden Filmemacher eine tiefere, erzählerische Motivation. Und bei mir ist das ein Interesse daran, was unter der Oberfläche von Menschen ist. Ich treffe einen, der mir erzählt: „Wenn ich meine Hose ausziehe, dann träumst du drei Wochen lang von Riesenschlangen“, und ich sage nicht automatisch: „Zahl mal fünf Mark in die Chauvikasse“, sondern ich frage viel lieber nach: „Was hast du für Pro

bleme? “ Ich möchte so eine Art Archeologie in den Persöhnlichkeiten betreiben. Was man dann auf der nächsten Ebene an Elend, Problemen und Sorgen findet, ist es auch noch nicht. Darunter ist dann immer ein sehr positiver Kern, und den darzustellen, ohne das andere wegzulügen, das interessiert mich am Filmemachen.

Gespräch: Wilfried Hippen

Cinema, 20.45 Uhr