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„Grundgedanke der Ausgrenzung“

■ Neun Organisationen schrieben „Bremer Aufruf zum neuen Ausländergesetz“

Mit ihrem neuen, verschärften Ausländergesetz hat es die Bundesregierung eilig. Im Mai 1990 soll es bereits alle Bonner Gremien durchlaufen haben. Neun Bremer Organisationen haben sich jetzt zusammengetan, um sich mit einem „Bremer Aufruf zum neuen Ausländergesetz“ Gehör zu verschaffen. Mit dabei sind unter Führung des Dachverbands der Ausländer -Kulturvereine (DAB): der Deutsche Gewerkschaftsbund, die fünf großen Wohlfahrtsverbände sowie die Arbeiter-und die Angestelltenkammer. In ihrem „Bremer Aufruf“ heißt es über den Bonner Gesetzentwurf: „Er ist getränkt vom Grundgedanken der Ausgrenzung“. Gule Iletmis, die Geschäftsführerin des Dachverandes der Ausländer-Kulturvereine, auf der Pressekonferenz: „Vielleicht ist der Aufruf zu weich formuliert. - Das Gesetz entspricht dem Denken: 'Ausländer raus‘, damit für die Deutschen

genügend Wohnungen und Arbeitsplätze da sind.“

Für die EinwanderInnen in der Bundesrepublik wird das Gesetz einschneidende Nachteile mit sich bringen. „Menschliche Dramen“, so die Vertreterin der Arbeiterwohlfahrt, seien vorprogrammiert. Beispiel Familiennachzug: Ein türkischer Mann, der nach fünf Jahren Bundesrepublik, Familienmitglieder aus der Türkei nachkommen lassen will, muß künftig folgende, fast unerfüllbare Vorschriften beachten. Erstens: Er muß „ausreichenden Wohnraum nachweisen“. Zweitens, drittens und viertens: Seine Ehefrau darf er nur dann nachholen, wenn er mit ihr bereits zum Zeitpunkt seiner Einreise in die BRD verheiratet war, wenn er sich bereits seit acht Jahren in der BRD aufhält und wenn er über eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung verfügt.

Ansprüche auf eine solche „Aufenthaltsverfestigung“ wer

den jedoch wiederum an Bedingungen geknüpft wie „unbefristetes Arbeitsverhältnis“, „kein Bezug von Sozialhilfe“, „ausreichender Wohnraum“. Werden diese Bedingungen nicht mehr erfüllt, kann es zu Rückstufungen oder gar zur Beendigung des Aufenthaltes kommen. Völlige Rechtsunsicherheit ist die Folge. Nachgezogene ausländische Frauen müssen sich zudem darauf gefaßt machen, daß sie falls sie sich scheiden lassen oder falls ihr Mann stirbt nur noch für ein Jahr in der Bundesrepublik bleiben dürfen. Nach dieser Frist „müssen“ sie die neue Heimat BRD verlassen. Und ausländische Jugendliche „können“ künftig schon ausgewiesen werden, sobald sie Leistungen der „Jugendhilfe“ in Anspruch nehmen, also sobald sie z.B. in eine Jugendwohngemeinschaft ziehen.

Der neue DGB-Vorsitzende Siegfried Schmidt: „Der DGB

lehnt diesen Entwurf ab.“ Einzelne Regelungen muteten der Perversion ähnlich an: „Das ist frauen-und familienfeindlich. Türkische Kollegen werden an den Rand gedrängt oder über den Rand hinaus.“ Eindeutigen Vorrang für den DGB habe 1990 jedoch die Tarifpolitik. Ates Nuh, Mitarbeiter der neuen „Zentralstelle für die Integration zugewanderter Bürgerinnen und Bürger“, forderte „als DGB -Mitglied“ den DGB-Chef auf, das „unbequeme Thema“ Ausländerpolitik massiver anzugehen: „Da erwarte ich vom DGB mehr.“ Eine zentrale Demonstration müsse vorbereitet werden. Albrecht Lampe (Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband) forderte für Bremen ein „wirkliches kommunales Wahlrecht“ und ein Freigeben der Finanzmittel für die „Zentralstelle für Zuwanderer“. Letztere, so Mitarbeiter Ates Nuh, habe schon längst ein ausreichendes Konzept für ihre

Arbeit vorgelegt.

Barbara Debus

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