: DDR-Öl ins Feuer des Golfkrieges gegossen
Über die DDR-Firma IMES wurden Hunderte Tonnen Sprengstoff aus Schweden von Schalck-Golodkowski in den Iran geschmuggelt ■ Von Thomas Scheuer
Basel (taz) - Der dubiose Zickzackflug einer Ladung Schießpulver von Schweden über die Bundesrepublik nach Syrien hatte die schwedischen Zöllner stutzig gemacht. Im November 1984 standen die Fahnder dann bei der Firma Nobel Chemicals in Karlskoga auf der Matte. Bei der Razzia „entdeckten wir eine Riesensauerei“, erinnert sich ein Zolloffizier. Die Sauerei: Als Mitglied eines Kartells verschiedener westeuropäischer Sprengstoffhersteller hatte die schwedische Nobel Chemicals Hunderte Tonnen Munition und Sprengstoff an beide Parteien des Golfkrieges geliefert. An der Sauerei beteiligt: die geheimnisumwitterte DDR-Firma „IMES“, im Tarnfirmengeflecht des mittlerweile in West -Berlin inhaftierten Ex-Devisenschiebers Alexander Schalck -Golodkowski zuständig für den Schwarzhandel mit Kriegsgerät.
Fünf Jahre lang fungierte die IMES, hinter dem Eisernen Vorhang vor der Neugierde westeuropäischer Kontrollbehörden sicher, als Drehscheibe für illegale Munitionslieferungen der schwedischen Nobel Chemicals an den Iran. In das schmutzige Geschäft mit dem Tod am Golf, so läßt sich aus der taz vorliegenden Zollakten rekonstruieren, stieg die IMES etwa 1980 ein. Die finnische Firma Sevico, die damals als „Consultant“ im Kriegsmaterialhandel mitmischte, brachte die Ostdeutschen in Kontakt mit den schwedischen Sprengstoffbaronen, die nach verdeckten Kanälen für ihre illegalen Transfers suchten. Fortan wurde Mats Lundberg, einer der Marketingmanager der Nobel Chemicals, des öfteren in Ost-Berlin gesichtet. Unter den „Hunderten von „Schmuggelaktionen“ (ein Beamter) des europäischen Sprengstoffkartells, die von den Ermittlern bislang aufgedeckt wurden, sind insgesamt 25 Transfers über die DDR -Firma IMES aus den Jahren 1981 bis 85 dokumentiert, vermutlich nur die Spitze des Eisberges. Verschoben wurden dabei insgesamt 343 Tonnen Sprengstoff (military explosives“) und 233 Tonnen Schießpulver. Das Schießpulver, fälschlich als „ziviles Gut“ deklariert, wurde zeitweise vom schwedischen Ostsee-Fährhafen Trelleborg nach Saßnitz auf der Insel Rügen verschifft. In der DDR wurde es in Kalaschnikow-Patronenhülsen gefüllt, die fertige Munition dann meist von Rostock aus direkt in den Iran verschifft. Meistens jedoch wurden, um den schwedischen Zoll zu täuschen, verschlungene Umwege eingeschlagen. So wurde der explosive Stoff in einigen Fällen zunächst ins neutrale Österreich exportiert, angeblich bestimmt für die Firma Dynamite Nobel in Wien.
Im Frühjahr 1985 etwa erteilte die schwedische Exportkontrolle die beiden Ausfuhrgenehmigungen Nr. 525/K vom 4. April für 7,8 Tonnen und Nr. 665/K vom 15. Mai für 155 Tonnen Knallchemikalien. In Wien aber kam das Zeug nie an. Die brisanten Güterzugwaggons aus dem Norden wurden in Salzburg gestoppt und mit neuen Frachtpapieren ausgestattet. „Aus neutralitätspolitischen Gründen“, so tönt ein von der taz befragter, damals beteiligter österreichischer Spediteur ganz staatsmännisch, könne er leider keine Auskünfte über seine Kunden erteilen. Ein Blick in die Zolldokumente hilft weiter: Von Salzburg aus rollten die Waggons zurück in die BRD und über den bayerischen Grenzort Hof in die DDR. Aus schwedischer Sicht erfüllt schon der Export militärischer Explosivstoffe in das Ostblockland DDR den Tatbestand des illegalen Kriegsmaterialexports. Daß letztlich der kriegführende Iran Endabnehmer war, die Schieber mithin Öl ins Feuer des Golfkrieges gossen, schließt Staatsanwalt Stil Age in Stockholm aus handfesten Indizien: So enthielten etwa die schwedischen Sprengstofflieferungen an IMES jedes Mal Proben und Muster weiterer Explosivchemikalien - und zwar genau solche, wie sie die iranische „National Defense Industries Organization“ in Karlskoga bestellt hatte. Kein Wunder, daß die Stockholmer Staatsanwaltschaft mächtig scharf auf einen Talk mit Alexander Schalck-Golodkowski ist. Schließlich laufen Strafverfahren gegen mehrere Manager der Nobel Chemicals.
Am Montag sind die schwedischen Behörden in Bonn offiziell mit der Bitte vorstellig geworden, Alexander Schalck -Golodkowski noch zwischen Weihnachten und Neujahr in West -Berlin vernehmen zu dürfen. Schwarze Geschäfte mit Munition gehörten zu den profitabelsten während des Golfkrieges. Nach Schätzungen westlicher Geheimdienstexperten verschossen Irak und Iran in einem einzigen Monat heftiger Gefechte rund eine halbe Million Artilleriegeschosse.
Sie waren jedoch kaum die einzigen, bei denen DDR-Schieber mit abkassierten. Augenzeugen berichteten der taz, auf DDR -Flugplätzen seien wiederholt nachts iranische Transportflugzeuge mit Kriegsmaterial, so etwa Ersatzteilen für sowjetische MIG-Kampfjets, beladen worden. Solche Deals seien teilweise als Kompensationsgeschäfte abgewickelt worden. Der Irak, dessen Armee die DDR unter anderem IFA -Lastwagen geliefert hatte, habe zeitweise mit Datteln bezahlt.
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