Dioxinausschuß der „Blackouts“

Behörden in Baden-Württemberg verschleppten jahrelang Probleme mit Sevesogift / Keiner will sich erinnern / Asylbewerber wider besseres Wissen auf verseuchtem Gelände untergebracht / Gesundheitsgefahren bestritten  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

Einen wahren Dschungel aus Unkenntnis, Ignoranz und reihenweisen Gedächtnislücken in den zuständigen Behörden förderten die ersten Zeugenvernehmungen vor dem baden -württembergischen Dioxin-Untersuchungsausschuß ans Tageslicht. Was viele längst vermutet hatten, bestätigte sich kraß: Keiner der Verantwortlichen wollte auf die besorgniserregend hohen Dioxinwerte mit Sofortmaßnahmen reagieren. Statt dessen wurden Besprechungen abgehalten, Akten hin- und hergeschoben, und notfalls wurde auf andere Behörden verwiesen.

Die Anhörung am Mittwoch vor Ort im schwäbischen Maulach begann gleich mit einem Eklat. Die Abgeordneten standen bei dem dioxinverseuchten Firmengelände der stillgelegten Kabelverschwelungsanlage Hölzl vor verschlossener Tür. Besitzer Georg Wieser, der dort einen Altpapierhandel betrieben hatte, war zum Ortstermin nicht erschienen. Den Abgeordneten blieb nur der Blick über den Zaun.

In der anschließenden öffentlichen Anhörung im Crailsheimer Rathaus gerieten die Vertreter der dortigen Behörden sichtlich ins Schwimmen. Landrat Ulrich Stückle gab zu Protokoll, er habe zum ersten Mal im Februar dieses Jahres von den Dioxinbelastungen gehört. Daß bereits seit 1986 hohe Dioxinkonzentrationen bekannt sind, will er gar erst am Morgen vor der Vernehmung in der Lokalzeitung gelesen haben. Stückle entschuldigte sich damit, erst seit 1988 Landrat zu sein. Auf Vorhaltungen hin, als Leiter der Wasserwirtschaft bis heute nichts unternommen zu haben, um den Abfluß vom Firmengelände in die Maulach zu unterbinden, zeigte er sich unwissend. In bezug auf Schutzmaßnahmen verwies er auf die Zuständigkeit „anderer Behörden“. Stückle: „Ich habe bis jetzt keinen Grund gesehen, mich persönlich darum zu kümmern“.

Crailsheims Bürgermeister Helmut Maaß nahm für sich einen „Blackout“ in Anspruch: Er konnte sich nicht einmal an seine eigene Aktennotiz zu den Vorgängen in Maulach von 1986 erinnern. Vom Dioxin will er erstmals im April 89 erfahren haben. Dabei war die Kabelverschwelungsanlage 1985 geschlossen worden; ein Jahr später lagen Dioxinmeßwerte von Bodenproben vor. Die Unterbringung von Asylbewerbern in zwei Wohnhäusern auf dem Firmengelände sei im Einvernehmen mit dem Regierungspräsidium Stuttgart erfolgt, erklärte der Bürgermeister dem Ausschuß. Als ein Abgeordneter ihn mit einer anderslautenden Einschätzung des Regierungspräsidiums aus einem Bericht des Umweltministeriums konfrontierte, gab er kleinlaut zu, er habe nach wie vor „keine akute Gesundheitsgefährdung“ gesehen. Eine Stellungnahme wollte er aber erst nach nochmaligem Aktenstudium geben: „Wenn es heißt, jemand ist nicht gefährdet, befasse ich mich nicht mehr so intensiv damit.“

Auch Umweltminister Erwin Vetter wollte von Gesundheitsgefährdungen durch die ermittelten Dioxinbelastungen nichts wissen. Bei seiner Vernehmung tags zuvor parierte er Vorwürfe, schwere Versäumnisse begangen zu haben. „Ich bin nicht vorbestraft, aber vorverurteilt“, so der Minister. Danach verlaß er eineinhalb Stunden eine allgemeine Stellungnahme zum Stand der Dioxinforschung, von der Toronto-Konferenz über Seveso und Vietnam zu den Dioxinfunden im Ländle. Den daraus resultierenden Handlungsbarf sah Vetter aber in erster Linie in der Wissenschaft. „Wir haben bei Null angefangen“, nun sei Baden -Württemberg Vorreiter bei den Giftuntersuchungen. Landesweit werde jetzt nach Dioxinen regelrecht gefahndet. In Maulauch und Rastatt wollte er indes „keine akute Gefährdung“ erkennen.

Dabei sah er sich in Übereinstimmung mit dem Bundesgesundheitsamt und dem Tübinger Gutachter Professor Hanspaul Hagenmaier. Alle Maßnahmen wie Anbaubeschränkungen und Bodenaustausch seien „vorsorglich erfolgt“. SPD und Grüne zeigten sich von den Erklärungen des Ministers keineswegs überzeugt; sie wollen ihn nochmals vor den Ausschuß zitieren.