: Krankenkasse: Es prüfe, wer sich ewig bindet
Der Yuppie als Idealkandidat: Gut verdienende ArbeitnehmerInnen könne zwischen privater und gesetzlicher Krankenversicherung wählen ■ Von Dita Vogel
Joachim und Günter sind beide Angestellte, 30 Jahre alt, ledig. Joachim zahlt monatlich 300 DM an die Krankenkassen, Günter 150 Mark. Worin sich die beiden unterscheiden? Günter verdient etwas mehr als Joachim und darf sich deshalb privat versichern - das ist erheblich billiger. Zwischen den beiden liegt die kritische Einkommensgrenze von 4.575 Mark pro Monat (ab 1990 4.725 Mark). Wer wie Günter mehr verdient, hat die freie Auswahl: Gesetzlich versichern, privat versichern oder auch gar nicht versichern. Für junge Angestellte wird die private Krankenvorsorge immer attraktiver, weil die Beitragsschere immer weiter auseinanderklafft. Die Höchstbeiträge der gesetzlichen Krankenkassen stiegen in den letzten zehn Jahren von 440 auf über 600 Mark, ohne daß die privaten Kassen wesentlich mehr von ihren jungen KundInnen verlangten. Die Hälfte der Beiträge trägt jeweils der Arbeitgeber.
Für Frauen ist der Beitragsunterschied weniger attraktiv. Bis sie etwa 56 Jahre alt sind, zahlen sie in privaten Kassen höhere Beiträge als Männer, weil ihr Geschlecht den Versicherern im Durchschnitt höhere Kosten verursacht: Sie gehen häufiger zum Arzt, schlucken mehr Medikamente und werden zudem noch in der Schwangerschaft teurer.
Wessen Einkommen unter der staatlich festgelegten Grenze liegt, der gehört wie Joachim zwangsweise zum gesetzlichen System. Als Angestellter darf Joachim wählen, ob er zu einer Ersatzkasse gehen möchte. ArbeiterInnen sind automatisch bei einer AOK oder Betriebskrankenkasse versichert, HandwerkerInnen in der Regel bei einer Innungskasse, falls vorhanden. Während die Privatversicherer den Beitrag nach dem Krankheitsrisiko errechnen, zwacken die gesetzlichen Kassen einen bestimmten Prozentsatz vom Einkommen ab - im letzten Jahr durchschnittlich 12,9 Prozent.
Damit sorgt Joachim nicht nur für sein eigenes Krankheitsrisiko vor, er wird im Gegensatz zu Günter auch zur Solidarität verpflichtet. Dadurch wird er zum klassischen Verlierer dieses Systems - zumindest kurzfristig. Obwohl er selbst eingefleischter Junggeselle ist und dies auch bleiben will, muß er die Krankheiten von Familien mitfinanzieren; denn Ehepartner und Kinder ohne Einkommen gehen umsonst zum Arzt. Er muß Zahnersatz mitfinanzieren, obwohl er damit rechnet, wie seine Großeltern bis ins hohe Alter auf eigenen Zähnen beißen zu können. Darauf darf Günter verzichten und entsprechend niedrigere Beiträge zahlen. Von Joachims Beiträgen werden auch RentnerInnen mitfinanziert, deren eigene Beiträge die Kosten längst nicht decken. Wenn er sich gesundheitsbewußt und sparsam verhält, bringt ihm das vielleicht einige Freude, nicht aber sein Geld zurück.
Günter dagegen kann einen Tarif mit Selbstbeteiligung und Beitragsrückerstattung wählen. Bezahlt er Bagatellen selbst und wird nicht ernsthaft krank, bekommt er bis zu sechs Monatsbeiträgen am Jahresende zurück. Mit anderen Worten: sein Arbeitgeber hat letztendlich den Versicherungsschutz allein gezahlt. Nur eines hat der pflichtversicherte Joachim gegenüber dem privat geschützten Günter gespart: die Qual der Wahl. Denn so eindeutig war die Entscheidung auch für Günter nicht, obwohl er - jung, gesund, männlich - der Idealkandidat für die Privatkassen ist. Erstens sind die verlockend niedrigen Beiträge nicht ohne Tücken, zweitens ist kaum zu durchschauen, welches Angebot der 44 überregionalen Privatversicherer langfristig am günstigsten ist. Preisunterschiede von mehr als 100 Prozent für die gleiche Leistung sind eher die Regel als die Ausnahme.
Die größte Tücke: Wer sich einmal von der Versicherungspflicht befreit hat, kommt nicht mehr in gesetzliche Kassen zurück, es sei denn, sein Einkommen sinkt noch einmal unter die Pflichtgrenze.
Sollte sich der ledige junge Mann einmal zu einem bürgerlichen Familienvater mit Frau zu Hause und mehreren Kindern auswachsen, so ist die Entscheidung im Nachhinein teuer, denn genau dieser Familientyp wird von der gesetzlichen Versicherung am meisten begünstigt. Privat muß jedes Familienmitglied individuell Beitrag zahlen.
Wenn Günter Pech hat, muß er auch als Rentner erhebliche Beitragssteigerungen hinnehmen. Mit diesem Pech mußten in letzter Zeit viele privatversicherte RentnerInnen leben. Private Versicherungen kalkulieren ihre Tarife im Prinzip so, daß sie über das ganze Leben des Versicherten konstant bleiben sollen. Dazu legen sie einen Teil der Beiträge am Kapitalmarkt an, um für höhere Kosten im Alter vorzusorgen. Da sie aber 1989 nicht wissen können, wie die Kosten im Jahr 2009 aussehen, können sie bei Preissteigerungen auch die Beiträge erhöhen.
Nun setzt sich der normale Versicherungsvertrag aus mehreren Einzeltarifen für Arztbesuche, Krankenhauskosten etc. zusammen, für die die Versicherer jeweils getrennt Einnahmen und Ausgaben vergleichen. Steigen die Kosten und der Anteil älterer Versicherter in einem Bereich, so könne auch die Beiträge in die Höhe schießen - zum Teil auf das doppelte in wenigen Jahren. Die Versicherungsaufsicht muß das tolerieren.
Ein Wechsel der Versicherung kommt trotzdem selten in Frage, denn wenn die Zipperlein und Wehwechen von 60 Jahren bei einem neuen Vertrag neu geprüft werden, kann die Prämie noch viel höher sein. Außerdem steigt der Beitrag ohnehin mit dem Einstiegsalter, denn die Versicherung hatte ja keine Gelegenheit, von den jungen, gesunden Jahren zu profitieren. Wer sich privat versichert, muß also da mit rechnen, einen Teil der Kostensteigerungen im Alter selbst zu tragen. Das gesetzliche System wälzt diese Last zum Teil auf Jüngere ab
-die Rentner zahlen dagegen nach wie vor nur Anteile ihres Einkommens.
In den Erkrankungen liegt ein weiteres Risiko. Bei Vertragsabschluß muß die gesamte Krankheitsgeschichte von A bis Z offenbart werden. Nachlässigkeit kann hier übele Folgen haben. Beispiel: Nach einer teuren Operation forscht die Versicherung bei Ärzten nach und stellt fest, daß der Operierte vor Jahren schon einmal wegen einer ähnlichen Sache behandelt wurde. Daraufhin kann sie den Vertrag kündigen. Eine neue Versicherung wird den frisch Operierten nur zu hohen Beiträgen aufnehmen - falls überhaupt.
Je jünger jemand ist, desto leichter wiegen diese Nachteile. Pech für die, die erst spät in ihrem Leben die gehobenen Einkommensklassen erreichen, wenn der Wechsel des Systems nicht mehr lohnt. Umgekehrt benachteiligt sind selbständige BerufsanfängerInnen mit niedrigem Einkommen. Ihnen ist der Zugang zum gesetzlichen System versperrt, auch wenn sie dort wegen ihrer Finanzschwäche besser aufgehoben wären.
Junge IngenieurInnen, ÄrztInnen, BetriebswirtInnen und JuristInnen sind als KundInnen besonders heiß umworben, ob sie nun selbständig sind oder angestellt. Sie haben schon relativ jung die Aussicht auf hohen Verdienst, und wenn sie den noch steigern wollen, bleibt ihnen zum krankfeiern keine Zeit. Für einen guten Fang zahlen die Versicherungen bis zu 14 Monatsbeiträgen an die Vermittler, vier bis acht Beiträge sind üblich. Das fördert die Geschäfte spezialisierter Makler, die Prüflinge begehrter Fächer an den Universitätstoren abfangen und ihnen ihre Dienste für die Zeit nach dem Examen anbieten. Sie kassieren von allen Versicherern Courtage, egal welche sie verkaufen.
Nach den Vorstellungen der Opposition im Bundestag dürfte ihr Geschäft nicht mehr lange blühen. Die SPD würde gerne die Einkommensgrenzen abschaffen und alle ArbeitnehmerInnen vom Lagerarbeiter bis zur Top-Managerin gesetzlich versichern. Dann sollte allerdings die Wahl zwischen verschiedenen gesetzlichen Kassen frei sein.
Joachim müßte zwar immer noch genauso viel zahlen, aber immerhin brauchte er sich nicht mehr über Günter zu ärgern, der sich darum drücken darf.
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