: Perestroika erfaßt Südafrikas Linke
Mitglieder der südafrikanischen kommunistischen Partei (SACP) sind über Kurs Moskaus verunsichert / Der von der UdSSR finanzierte bewaffnete Kampf verliert an Bedeutung / Eigener Stalinismus wird abgebaut ■ Aus Johannesburg Hans Brandt
Die Überraschungsbesucher bei der „Konferenz für eine Demokratische Zukunft“ wurden vor wenigen Tagen in Johannesburg mit ohrenbetäubenden Freuderufen begrüßt. Es waren die Professoren Irina Filatova und Appolon Davidson von der Universität Moskau. Für die Mehrheit der 4.000 versammelten Delegierten ist die UdSSR immer noch ein gelobtes Land, die sowjetische Regierung sicher die wichtigste Unterstützerin des Kampfes gegen die Apartheid.
Aber nur zwei Tage vorher hatten Filatova und Davidson eine andere Seite der südafrikanischen Opposition erlebt. Bei einer öffentlichen Diskussion an der Johannesburger Witwatersrand Universität wurden sie von links und rechts, von Stalinisten und Trotzkisten zwei Stunden lang in die Zange genommen. Ob die UdSSR mit Glasnost und Perestroika nicht den Osten an den Kapitalismus verkauft und den Sozialismus verraten habe, fragte ein Gewerkschafter. „Perestroika bedeutet nicht die blinde Annahme des Kapitalismus, sondern die Anpassung des Sozialismus“, antwortete die Afrikaexpertin Filatova. „Wir sind gegen alle Monopole, ob kapitalistisch oder sozialistisch.“
Die Frage ist jedoch typisch. Mitglieder und Sympathisanten der seit ihrer Gründung 1921 moskautreuen Südafrikanischen Kommunistischen Partei (SACP) sind durch die Entwicklungen in der UdSSR verunsichert. Das hat entscheidende Auswirkungen auf die südafrikanische Anti-Apartheid -Opposition im allgemeinen. Zwar ist die SACP eine Untergrundpartei, deren Mitglieder sich nicht als solche zu erkennen geben. Dennoch spielt sie hinter den Kulissen eine wichtige Rolle in der Opposition. Unter den Organisationen, die sich in der Front des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) zusammengeschlossen haben, ist die SACP sehr einflußreich. Auch in den oppositionellen Gewerkschaften findet die Politik der SACP erhebliche Unterstützung.
Die Veränderungen in der UdSSR haben die gesamte Opposition zu einer Neuanpassung gezwungen. Indirekt bedeutet die weltweite Verhandlungsbereitschaft der UdSSR unter Gorbatschow, daß auch in Südafrika Verhandlungen zur Lösung der Rassenkonflikte in den Vordergrund gerückt sind. Der bewaffnete Kampf, größtenteils von der UdSSR finanziert, wird trotz aller verbalen Militanz immer unbedeutender. Seit einigen Monaten konzentriert der ANC alle Mittel darauf, eine starke Verhandlungsposition zu formulieren und weltweit dafür Unterstützung zu werben. Viel direkter betroffen ist allerdings die SACP selbst. Stalinistische Hierarchien, die auch die SACP geprägt hatten, die Ausgrenzung und Kriminalisierung von internen Kritikern, werden inzwischen abgebaut. Gleichzeitig findet eine vollkommene Überarbeitung des SACP-Programms statt. Beim Parteikongreß Anfang dieses Jahres wurde deutlich, daß die SACP ihre Rolle im Kampf gegen Apartheid und Kapitalismus grundsätzlich neu definiert hat.
Unser Programm geht davon aus, daß die kommandistischen und bürokratischen Ansätze, die in der Stalin-Ära etabliert wurden, Auswirkungen auf kommunistische Parteien in aller Welt hatten, auch auf unsere Partei“, sagte ein SACP -Sprecher in einem Interview. Deshalb habe sich eine tiefe Kluft zwischen Sozialismus und Demokratie aufgetan. Um diese Kluft zu überwinden, will die Partei ihr Auftreten grundlegend ändern. „Unser Anspruch, Marxismus-Leninismus zu vertreten, gibt uns kein Monopol der politischen Weisheit und kein automatisches Recht, den Kampf alleine zu kontrollieren“, räumte der Sprecher ein. „Wir können unseren Platz als Vorhut der Kampfes nur gewinnen, indem wir bessere Führung beweisen und der Revolution mit größerer Hingabe dienen.“ Ein Anfang mit interner Demokratie sei schon gemacht. „Das Zentralkomitee hat das alte Konzept, daß alle, die nicht mit der Partei übereinstimmen, Feinde der Arbeiterklasse sind, entschieden abgelehnt“, sagte der Sprecher. „Wir müssen verhindern, daß demokratische Kritik mit Konterrevolution gleichgesetzt wird.“
Doch im neuen Programm der SACP werden auch Differenzen zwischen der Partei und der UdSSR deutlich. Während Gorbatschow Friedenssuche und Verhandlungsbereitschaft in den Vordergrund stellt, hält die SACP an der Notwendigkeit eines „revolutionären Aufstandes“ zur Überwindung der Apartheid fest. „Der Versuch, den Kampf für Freiheit immer dem Kampf für Frieden unterzuordnen, kann die Interessen der entwickelnden, unfreien Welt denen der entwickelten, freien Welt unterordnen“, meinte der SACP-Sprecher. „Wir sehen keinen Widerspruch zwischen dem Befreiungskampf in Südafrika und dem Kampf für Frieden.“ Nur „der Kampf der Massen, unterstützt durch revolutionäre Gewalt“ könne die Apartheid besiegen. Die Partei warnt jedoch, daß Euphorie über Verhandlungsmöglichkeiten nicht zu einer Abschwächung des Kampfes führen darf.
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