: Rumänien
Im Gegensatz zum Systembruch in der DDR, der durch eine Zangenbewegung von unten („Wir sind das Volk“) und von ganz oben (Ihre Herrlichkeit, die Bundesrepublik Deutschland) bewerkstelligt wurde und dessen Titulierung als „Novemberrevolution“ geradezu ein Hohn ist, fand in Rumänien tatsächlich der klassische Aufstand derer unten, die nicht mehr wollen, gegen die oben, die nicht mehr können, statt. Und von allen osteuropäischen Ländern hatte nur in Rumänien der Ruf nach Freiheit seinen wirklichen Sinn, war er nicht ausschließlich die hilflos-dümmliche Übernahme eines zentralen westlichen Propagandaworts, eines bürgerlich -liberalistischen Freiheitsverständnisses.
Aber so legitim das Ziel der rumänischen Revolution auch gewesen ist: Angesichts der vielen Opfer bleiben Zweifel, ob ihr spontaner Ausbruch eigentlich ein Glücksfall war. Denn kein anderes Regime dieser Erde war so sehr auf die Lebenszeit seiner Protagonisten angelegt wie das von Nicolai und Elena Ceausescu. Zwar stützte sich das Regime auf jede Menge Privilegien und Korruption, hatte aber gerade nicht jene festen, „legitimen“ Eigentums- und Klassenstrukturen, wie sie zum Beispiel das Schah- oder Somoza-System aufwiesen, durch die eine persönliche Diktatur erst wirklich vererbbar gemacht wird.
Gewiß, daß man sich die letzten noch zu erwartenden Jahre Ceausescu samt winterlichem Frieren, nachtfinsteren Städten und ähnlich bizarren Unterdrückungsmaßnahmen erspart hat, bedeutet für die Betroffenen viel. Aber man hat einen immens hohen Preis dafür gezahlt, wobei die entscheidenden Ursachen für die Not in Rumänien (die irrsinnigen Auslandsschulden, die nutzlosen Prestigeprojekte, die rigorosen Rückzahlungsversuche - kurzum: die Früchte jener glorreichen Kooperation mit dem Westen) nach wie vor bestehen bleiben. Wer in dieser Hinsicht nun auf westliche Wirtschaftshilfe hofft, kann durch einen Blick auf die DDR ernüchtert werden. Dort besteht bekanntlich die vielzitierte „Hilfe“ bislang vor allem darin, das Land durch ständiges Entziehen von Arbeitskräften und die Legalisierung eines ruinösen Wechselkurses erst einmal kräftig auszubluten. Trotz allem Männchenmachens Modrows.
Ingrid Tsakiridis, Freiburg
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen