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Unterwegs mit Raubfischern im Mittelmeer

Sie werfen ihre in Schlingform ausgelegten „pelagischen“ Netze und scheren sich einen Dreck um Artenschutz / In den bis zu 40 Meter tiefen Todesfallen der Kutter verfangen sich neben kleinen Fischen auch Hunderte von Delphinen / Man versenkt die Tiere oder schneidet ihnen die Flossen ab / „Das juckt doch nur die Öko-Idioten“  ■  Von Werner Raith

Das Unaussprechliche am Namen der „MN Frnsca“ rührt nicht daher, daß sich auf dem 25-Meter-Kutter neben den sieben Italienern auch vier Schwarzafrikaner verdingt haben; der Zahn der Zeit war's, der dem ursprünglichen Namen sämtliche Vokale geraubt hat, so daß von der „Motonave Francesca“ nur noch jener kümmerliche Rest blieb.

Auch sonst scheinen die Jahre dem schwer keuchenden gelbgrüngraublauen Etwas die meisten Lebenselemente abgenagt zu haben; meine Frage nach dem Baujahr entlockt dem Steuermann Emidio, selbst schon ein betagtes Exemplar der Petrijünger, ein verschwommenes „um den Ersten Weltkrieg herum“. Die Motornummer im Schiffsbauch ist ebenso weggefeilt wie das Zulassungsjahr. Doch mit einem anderen Gefährt als diesem Halunkenfänger ohne Betriebsgenehmigung und Logbuch ist das Vorhaben nicht zu bewerkstelligen: gewissen Großkuttern nachzuspüren, die da trotz allerlei internationaler Ächtungen noch immer mit den riesigen, mitunter bis zu 40 Kilometer langen Serpentinennetzen Jagd auf Schwert- und Thunfische, Störe und Riesenbarsche machen

-und denen dabei, neben zahlreichen viel zu jungen Speisefischen (Schwertfische dürfen erst ab 1,40 Meter Länge getötet werden) auch absolut geschützte Meeressäuger wie Delphine und Tümmler zum Opfer fallen. Doch mit den meist von Großkompanien betriebenen Fangflotten legt sich von den Kleineren nicht gerne jemand an - speziell im Süden Italiens hat schon mancher eines schönen Morgens seinen Kahn zehn Meter unter der Wasseroberfläche wiedergefunden.

Kein Echo

warnt die Delphine

Die in Schlingenform ausgelegten, auch „pelagische Netze“ oder „Spadare“ (nach dem Schwertfisch, pesce spada) genannten Todesfallen, an die 40 Meter tief, durch zahlreiche Bojen stabil im Meer gehalten, haben nur eine Fadenöffnung von rund 35 Zentimeter. Die größeren Fischen, die sich darin verwickeln, kommen nie mehr raus. Und ein Entkommen aus dem immer mehr verengten Labyrinth des Wellennetzes ist auch für versierte Fische faktisch unmöglich. Die internationale Fischfangkonvention von Genf verbietet solche Art Netze zwar kategorisch. Doch im Mittelmeer tummeln sich schon nach den vorsichtigen Angaben des italienischen Handelsmarineministers 700 italienische und 20 spanische „pelagische“ Fischdampfer, weltweit sind es mehr als 3.000. An die 20.000 Delphine enden, nach einer Berechnung des World Wildlife Fund, jährlich in diesen Netzen - „und dabei müßten die Hersteller nur anderes Material verwenden, das Echo reflektiert, damit die Meeressäuger es mit ihrem Echolot erkennen und umschwimmen können“, stellt der Meeresbiologe Luca Magnaghi aus Mailand fest. Seit Mitte Oktober müssen aufgrund eines ministerialen Dekrets die Netzoberkanten auf 15 Meter Tiefe abgesenkt werden: So können wenigstens die oben schwimmenden Tümmler entkommen. Doch kaum jemand hält sich daran: Noch immer landen Tausende zu kleiner und geschützter Tiere in den Netzen.

Nun kann man zwar die Schwertfische auch unter dem gesetzlichen Limit zumindest in den wenig kontrollierten kleineren Hafenstädten noch ohne Probleme verkaufen, doch Delphine sind, weil absolut geschützt, nirgendwo abzusetzen. Trifft die Polizei Fischer mit auch nur einem einzigen lebenden oder toten - Exemplar an, wandert die gesamte Besatzung für einige Zeit ins Gefängnis. „Deshalb“, sagt Einholmaat Carmine sachverständig und ohne Bedauern, „muß man denen, wenn sie ins Netz gehen und da unweigerlich verletzt werden, einen schweren Stein umbinden und sie versenken.“ Das klappt mitunter nicht so ganz: Am Strand von Livorno, vor Sardinien, bei Gaeta und auf Ustica wurden dieses Jahr jeweils mehrere Dutzend toter Delphine angeschwemmt - fast alle mit abgeschnittenen Flossen oder Schwanz, um die Netze zu retten, in die sich die Tiere verwickelt hatten. Manche waren jämmerlich verhungert, weil sich die Killer nicht einmal die Mühe gemacht haben, die nicht mehr ernährungsfähigen Tiere zu töten. „Meine Güte“, sagt Emidio, „wen juckt das schon, außer ein paar Öko -Idioten?“

Die Finanzpolizei

kommt angetuckert

Daß die „MN Francesca“ einen Journalisten an Bord genommen und der Kapitän Michele versprochen hat, mir ein paar der Schleppnetzkollegen zu zeigen, hängt damit zusammen, daß „wir uns bei einer Kontrolle auf dich hinausreden können, wenn wir fischen, wo wir eigentlich nicht dürfen“ - etwa in den fischreichen, weil geschützten Gebieten um Ponza herum, das Teil des Nationalparks Circeo ist. Außerdem haben die kleinen Kutterbesatzungen einen mächtigen Rochus auf die Kollegen mit den Serpentinennetzen - „die blockieren nicht nur mitunter dreißig, vierzig Quadratkilometer und ballern dir schon mal 'ne Harpune in den Arsch, wenn du da drübertuckerst - die fischen auch ganze Areale leer und für uns arme Säue bleibt nichts mehr“.

Auf halbem Weg zwischen Anzio und Ponza wird Michele plötzlich nervös, dreht dreimal ab, die Besatzung hängt kribbelig am Fernrohr oder beginnt angelegentlich die Planken zu schrubben - die Afrikaner sind plötzlich alle unter Deck: Der Grund für die Aufregung sieht taubengrau aus und kommt gischtspritzend näher - ein Schnellboot der Finanzpolizei. „Du weißt, was du sagen mußt“, raunt der Steuermann so leise, als könnte die Polizei schon auf einen Kilometer hören. Klar: Die vier Mann unten sind sowohl illegal im Land wie unangemeldet an Bord, das bedeutet für den Schiffsführer schon mal eine Strafe von umgerechnet ein paar Tausend Mark. Außerdem enthalten einige der Fischcontainer wohl auch nicht ganz astreine Beute wie etwa Seezungen, die derzeit geschützt sind. Auch die Krebse sind überwiegend kleiner als das Gesetz erlaubt, doch die werden schnell noch ins Meer gekippt.

Die Flüche, die danach zu hören sind, würden jedem Oberteufel zur Ehre gereichen - die Finanzpolizisten geben lediglich das Signal „Ihr nähert euch der geschützten Zone“

-und brausen vorbei. „Die Hosen umsonst voll gehabt“, knurrt Emidio.

Großer Fang

für die „MN Francesca“

Wenig später erkennt er dann den Grund für die Eile der Polizisten: „Die haben die da vorne im Visier.“ Ein erst bei Annäherung erkennbares Riesengewirr von Fähnchen und Bojenmasten wird sichtbar, vier Kutter und zahlreiche Beiboote im Wasser, die es plötzlich ganz eilig haben, zu ihren Mutterschiffen zurückzukommen. „Haha“, lacht Kapitän Michele diabolisch, „die sind denen aber nicht auf den Leim gegangen“: „Die“, das sind die Polizisten, „denen“, das sind die Kollegen voraus: „Die tarnen ihre pelagischen Netze“, sagt er, „indem sie so tun, als würden sie ganz normal im Rudel fischen, und setzen ihre eigentlichen Bojen knapp unter die Wasseroberfläche.“ Mitunter offenbar zu knapp eine der Bojen war, wie uns bei der Rückfahrt ein aufgeräumter, weil erfolgreicher Finanzpolizist erklärt, just einem ihrer Schnellboote unter den Kiel geraten, hatte die Steuerschraube beschädigt, und so war man den Fischräubern auf die Spur gekommen. An Bord der Serpentinenfänger haben die Polizisten an die 20 Tonnen geschützter Fische gefunden. Delphine waren keine dabei doch von ein paar am Hinterdeck gefundenen Flossen nehmen die Polizisten schwer an, daß sie Meeressäugern gehörten.

Kapitän Michele hat inzwischen wieder seine Frechheit zurückgewonnen. Ohne Zögern wirft er seine Netze just dort aus, wo die Polizisten kurz vorher die der Kollegen konfisziert und an Bord plombiert haben. „So eine Gelegenheit kommt nicht wieder“, sagt er, „haste gesehen, wieviel geschützte und zu kleine Fische die ins Meer gekippt haben? Mindestens zehn Tonnen. Und die schwimmen jetzt alle um uns herum.“

Das Leerfischen des Mittelmeers gelingt, soviel steht fest, auf längere Sicht bestimmt auch mit den traditionellen Netzen.

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