„Kampfdemonstration“ gegen Rechtsradikalismus

■ Anlaß: Die Schändung des sowjetischen Ehrenmals in Ost-Berlin und Neonazischmierereien in anderen Städten

Berlin (taz) -In der DDR wächst die Angst vor einem zunehmenden Rechtsextremismus. Nach der Schändung des sowjetischen Ehrenmales in Berlin-Treptow, rechtsradikalen Ausschreitungen der „Wiking-Jugend“ an der deutsch-deutschen Grenze und der Verwüstung zahlreicher Grabsteine im sowjetischen Ehrenhain in Gera rufen zahlreiche DDR-Gruppen unter dem Motto „Jetzt reicht es! Es ist zuviel! Wir brauchen eine Einheitsfront gegen rechts!“ für heute 18 Uhr zu einer „Kampfdemonstration“ am sowjetischen Ehrenmal in Berin-Treptow auf.

Initiiert wurde der Aufruf von der SED, dem Komitee der Antifaschistischen Widerstandskämpfer und der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft. Unterstützt wird der Aufruf, der gestern unter anderem im 'Neuen Deutschland‘ und der 'Jungen Welt‘ großformatig veröffentlicht wurde, auch von SDP, der „Vereinigten Linken“, der Initiative „Für unser Land“ und dem Gewerkschaftsverband FDGB.

Im Zentrum der Stadt Pirna, südlich von Dresden, wurden gestern früh erneut rechtsradikale Parolen entdeckt. Die DDR -Nachrichtenagentur 'adn‘ berichtete, die Unbekannten hätten meterlang auf Schaufenster und Wände „Hitler lebt“ und „Wir sind da - REP“ geschrieben. Dem gleichen Bericht zufolge sind auch im Stadtgebiet von Görlitz in den letzten Tagen Parolen wie „Juden raus“, „Wählt REP“ „Ausländer raus“ und Hakenkreuze geschmiert worden.

Mit Transparenten „Wehret den Anfängen“ oder „Nie wieder Rassen- und Völkerhaß“ demonstrierten bereits am Samstag über 2.000 Menschen in Ost-Berlin gegen die Schändung des sowjetischen Mahnmales.

Dort hatten am 28. Dezember Rechtsradikale den Sockel mit den Parolen „Besatzer raus“ und „Volksgemeinschaft statt Klassenkampf“ beschmiert. Gemeinsam verfaßten die TeilnehmerInnen ein Telegramm an Gorbatschow, in dem sie sich für diese „Untat der Verunglimpfung“ der sowjetischen Völker entschuldigten.

Polizei und Staatsanwaltschaft der DDR warnten in den vergangenen Wochen wiederholt vor einer Welle des Rechtsradikalismus, der Ausländerfeindlichkeit und vor Übergriffen auf Schwule, Punks und Kommunisten. Der Sprecher des Generalstaatsanwaltes, Peter Przybylski, erklärte, es gebe zwar noch keine nachweisbaren Strukturen eines organisierten Neonazismus, nazistisches Gedankengut und Ausänderfeindlichkeit seien aber nicht zu übersehen.

Für 1988 zählte die Kripo 185, für 1989 an die 300 eingeleitete Verfahren mit einem rechtsradikalen Hintergrund. In dem Bericht wird weiter auf eine hohe Dunkelziffer und auf Anzeichen dafür verwiesen, daß sich weitere Gruppen bilden wollten oder bereits konspirativ arbeiteten.

Sozialwissenschaftler in der DDR schätzen, daß die Zahl der organisierten Rechtsradikalen, die für 1988 mit etwa 1.000 angegeben wird, zwischenzeitlich stark gestiegen ist.

In Rostock erhielt der Bezirksstaatsanwalt in einem anonymen Schreiben eine Morddrohung. Der Ankläger hatte im September ein Verfahren geleitet, in dem einem früheren Mitglied eines faschistischen Werkschutzes mehrfacher Mord an Juden vorgeworfen wurde. Auf einer Karte mit den Konturen des Deutschen Reiches von 1937 drohten die Rechtsradikalen: „Wir wollen alles so, wie es Hitler uns befohlen hat“.

Wolfgang Gast