piwik no script img

Keine Touristenghettos

■ Erste Kontakte zwischen West-Berlin und der DDR zur Tourismusentwicklung im Umland von Berlin / Die touristische Infrastruktur soll ausgebaut werden

„Wir werden uns wundern, wie schnell die DDR reagieren wird“ - mit dieser Prognose sah gestern Wirtschaftssenator Mitzscherling der Tourismusentwicklung im Großraum Berlin betont optimistisch entgegen. Er hatte sich gestern zu einem ersten „Gedankenaustausch“ mit seinem DDR-Kollegen, dem Minister für Tourismus Prof. Bruno Benthien, getroffen. Mit der neuen Reiseregelung werden die landschaftsentwöhnten Westberliner vermutlich wie Heuschreckenschwärme in die Naherholungsgebiete rund um Berlin, etwa in die Brandenburgische Seenplatte oder in den Spreewald (Müggelsee), einfallen. Wie die DDR diesen Ansturm verkraften wird, wie sie ihre bis jetzt für westliche Ansprüche nur mangelhaft entwickelte touristische Infrastruktur ausbauen wird, wie Touristen untergebracht werden und wo sie essen sollen, das alles ist im Moment noch völlig ungeklärt.

Bei dem Gespräch zwischen Mitzscherling und Benthien ging es nach den Worten des Senators vor allem darum, diese mangelhafte Infrastruktur so schnell wie möglich attraktiv auszubauen und gleichzeitig die Belastungen für Natur und Umwelt „so gering wie möglich“ zu halten. Der Senat hofft, so Mitzscherling, daß es eine enge Kooperation zwischen Westberliner gastronomischen Betrieben und solchen im Umland geben wird, um mehr Übernachtungsmöglichkeiten zu schaffen und außerdem eine bessere gastronomische Versorgung zu bieten. „Es sollen keine Ghettos für Westberliner entstehen“ betonte Mitzscherling mehrmals, stellte aber gleichzeitig ein Modell vor, das das Gegenteil befürchten läßt. Der Senat verhandele zur Zeit mit der Berliner Bank, um einen Kreditfonds in Höhe von ca. 50 Millionen Mark für Ost -Betriebe zu finanzieren. Um eine „Refinanzierung der Investitionen“ sicherzustellen, sei es notwendig, daß beispielsweise in Gasthöfen mit westlicher Finanzierungshilfe auch in West-Mark bezahlt werde.

Übernachtungsmöglichkeiten werden zunächst vor allem auf privater Ebene vermittelt werden, ehe neue Hotels und Pensionen entstanden sind. Die DDR-Regierung will in den nächsten Wochen die Gemeinden rund um Berlin dazu motivieren, verstärkt Privatzimmer anzubieten, die dann in Ost-Mark gezahlt werden können. Ein großes Problem für die DDR-Gemeinden besteht zunächst darin, überhaupt Geld einzunehmen. Man habe deshalb vorgeschlagen, so Mitzscherling, nach dem Vorbild westlicher Kurorte Gebühren für Fremde zu erheben.

Weiter beraten über Probleme des Tourismus wird der entsprechende Ausschuß im Berliner Regionalausschuß, der noch im Januar tagen soll. Ob sich der Tourismus in der DDR tatsächlich „geregelt“ entwickeln wird, darf bezweifelt werden. Zwar formieren sich einzelne Bürgerinitiativen, um Gegenkonzepte zu erarbeiten, bis sie aber arbeitsfähig sind, wird zuviel Zeit vergangen sein. Zeit, in der Pläne wie der kürzlich bekanntgewordene einer Westberliner Gesellschaft, im historischen Zentrum von Potsdam ein Hotel- und Kongreßzentrum zu bauen, weiter Gestalt annehmen können.

kd

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen