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Auf Seelenfang in Ost-Berlin

■ Seit Öffnung der Mauer machen sich Vertreter Westberliner Sekten auf die Suche nach neuen AnhängerInnen / Im Visier haben sie dabei Besucher aus der DDR

Morgenluft durch die Öffnung der Grenzen zu Ost-Berlin wittern Sekten und Jugendreligionen, deren Aktivitäten bisher auf den Westteil der Stadt beschränkt geblieben waren. Bei jeder Masssenveranstaltung seit dem 9.November sind sie dabei. Freundlich dreinblickende Vertreter der „Scientology Kirche“ oder der „Vereinigungskirche“ verteilen Flugblätter, Broschüren und Bücher an zumeist junge DDR -Bürger. Sie präsentieren ihre Botschaft werbewirksam mit wissenschaftlichem oder sozialen Brimborium. Spiritualität, Meditation und Mystik gibt es im Sonderangebot, der Seelenfang im Osten boomt. Dahinter stehen oft harte wirtschaftliche und politische Interessen.

Noch gibt es für die Ostler allerdings alles umsonst. Aktiv dabei ist auch die C.A.R.P.-Gruppe, die Intellektuellenvereinigung der Moon-Sekte. Sie führten schon im August 1987 einen „Anti-Mauer„-Hochschulkongreß durch und finden jetzt mit ihrem entschiedenen Antikommunismus auch in der DDR Beachtung und Anhang. Am Tage der Öffnung des Brandenburger Tors fuhr ein ganzer Kleinlaster voll mit der Informationsbroschüre „Causa“ zum Pariser Platz und schüttete dort wahre Berge der Festbotschaft aus. Ihre Botschaft ist klar: „Gottismus statt Marxismus“, der Führungsanspruch der alten Kader soll durch ein religöses Zentrum ersetzt werden. Eine „Headwing-Bürgerrechtsbewegung“ sei vonnöten. Head steht für das Zentrum um den rechtsradikalen koreanischen Rev. Sun Myung Moon, „wing“ sind die Arme, die Flügel, die „weltweit den historischen Konflikt von Kommunismus und Kapitalismus überwinden“. Der deutsche Rassismus zwischen 1933 und '45 wird ebenfalls flugs entsorgt. „Der Nationalsozialismus ist nur religionsgeschichtlich begreifbar.“ Die Menschen am Brandenburger Tor, begierig auf jeden westlichen Export, rissen die Informationsbroschüre der „Causa“ den Sektenpredigern aus der Hand.

Auch andere Heilsprediger haben momentan in der DDR Konjunktur. Der „Arbeitskreis Neue Jugendreligionen“ der katholischen Kirche in Berlin teilte mit, daß bereits diverse Sekten dabei sind, in der DDR Niederlassungen aufzubauen. Die Scientology-Kirche suche derzeit Westberliner Mitglieder, die bereit seien, „Missionen“ im Ostteil der Stadt zu leiten und dort „Dianetik„(„Göttliche Energie“)-Seminare abzuhalten. Die Hare- Krishna-Bewegung sei schon länger auf Tour. Erstmals öffentlich traten sie bei der Demonstration am 4.November in Ost-Berlin auf. Trommelnde Jünglinge tanzten und sangen für „ungehinderte Religionsfreiheit“. Die Sri-Chimnoy-Bewegung, eine Guru -Truppe, veranstaltete am Neujahrstag am Brandenburger Tor ein Friedenskonzert. Für eine noch größere Musik- und Meditationsveranstaltung am 21.Februar im ICC und Kleiner Philharmonie wurde geworben. Platzreservierungen sind über einen Ostberliner Telefonanschluß möglich. Der Sektenbeauftragte der katholischen Kirche, Pater Klaus Funke, betrachtet die Expansion mit Sorge. „Das Dilemma ist, daß die Bürger in der DDR, aber auch die Kirche, bisher niemals mit Jugendsekten in Berührung gekommen sind. Das Ausmaß der handfesten Interessen, die hinter diesen Vereinigungen stehen, sind dort nicht bekannt.“ Um das bis jetzt „unterentwicklete Problembewußtsein“ in der DDR zu fördern, veranstaltet er in Kooperation mit der katholischen Kirche in Ost-Berlin Fortbildungs- und Aufklärungsveranstaltungen. Noch gibt es, so weiß er, weder beim Staatlichen Beauftragten für Kirchenfragen noch bei den Kirchen selbst Ansprechpartner für Sektenprobleme. Funke: „Der Leidensdruck ist noch nicht groß genug, aber er wird kommen, wenn die Entwicklung weiter expandiert.“

ak

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