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Sacre Miro, der pythagoräische Maler

■ Zeichnungen, Gouachen und Aquarelle erstmals in der BRD

Als Miro im Alter von 93 Jahren am 25.Dezember 1983 starb, titelt die französische Tageszeitung 'Liberation‘ „Der katalanische Maler Joan Miro verläßt uns mit dem Weihnachtsmann, sacre Miro.“

Miro mit dem Weihnachtsmann in einem Atemzug, um auf das Wunderbare und Märchenhafte seiner Bildfindungen hinzuweisen. Miro als naiver Bildpoet, als Maler, der in seinen Bildern Sonne, Mond und Sterne, Blumen, Bäume und seltsame Fabelwesen inszeniert; einer, der melancholisch zarte Märchen erzählt von einem Land, das lange zögert, ehe es untergeht. Nicht selten wird dabei die vordergründig naive Botschaft mit einer spontanen, unreflektierten Arbeitsweise identifiziert. Daß dies unberechtigt ist, beweist die Ausstellung einer Auswahl des zeichnerischen und aquarellierten Werkes, dasdie Kestner-Gesellschaft in Hannover zur Zeit zum ersten Mal in der Bundesrepublik in einer Retrospektive vorstellt.

Miro hat seit seinem zwölften Lebensjahr Skizzenbücher geführt. Die Motive zu seinen Bildern hielt er, wenn sie ihm in den Sinn kamen, in flüchtigen Notaten auf Rechnungen, Briefumschlägen, Zigarettenpackungen und Metrotickets fest, um sie später intensiv auszukundschaften. Oft zeigen die Skizzenbücher verschiedene Vorstudien zu demselben Sujet, die uns erkennen lassen, wie sorgfältig Miro seine bildnerischen Unternehmungen plante. Eigentlich sollten diese Zeichnungen, Gouachen und Aquarelle in seinem Privatbesitz verbleiben und der Öffentlichkeit nicht zugänglich gemacht werden. Sie waren für Miro kein Medium sui generis, sondern nur Hilfsmittel für Bilder. Als er 1975 die Fundacio Joan Miro, ein Zentrum moderner Kunst, in Barcelona einweihte, machte er der Stiftung mehr als 5.00 dieser Blätter zum Geschenk. An ihnen erkennenwir heute, wie kalkuliert Miro an die Arbeit ging. Viele Zeichenblätter überzieht der scheinbar Spontane mit einem akkuraten Netz von Koordinaten und Quadranten, in dem er seine Sujets plaziert. In den Studien „Kopf eines katalanischen Bauern“ von 1923/24 löst er das Gesicht in der Manier des Kubismus die erste Ausstellung kubistischer Malerei hatte Miro 1912 in der Galerie Dalmau in Barcelona gesehen - in ein Ensemble von Kurven, Punkten und Geraden auf. Im Zentrum herrscht ein Moustache a la Dali, darunter ein Vorhang von einem Kinnbart. Um dieses Gesicht gruppiert er Landschaftsmotive seiner katalanischen Heimat, skurril gezeichnete, seltsam anthropomorphe Grillen, einen kindlich geformten, gemütlichen Halbmond, eine Kerze, in deren Flamme Sternschnuppen tanzen, am oberen Bildrand einen Schmetterling und die Andeutung eines Schneckenmotivs. In einer späteren Skizze ist der Moustache verschwunden, ebenso die Andeutung von Mund und Nase, die Augenkreise treten näher zusammen, der Kinnbart rutscht ins Zentrum, das Schneckenmotiv findet sich verdoppelt und viel markanter ausgearbeitet, der verspielte Schmetterling, Grille und Halbmond werden verworfen. Gesicht und Landschaft bilden eine kaum noch zu dissoziierende Einheit. Der katalanische Bauer ist nur in seiner Heimat zu denken, wo er sogar beim Tanzen der „Sardana“, so Miro, mit beiden Beinen nur fest auf dem Boden steht, um höher in die Luft springen zu können. Die Studie wirkt jetzt strenger, puristischer und überzeugt mehr.

Wie man sich anhand der Skizzen überzeugen kann, verläuft die Abstrahierung bei Miro in zwei Richtungen: Einige Formen streben zum Geometrischen, werden Kreis, Kugel, Dreieck oder Viereck. Es gibt volle Formen, schwarz oder farbig ausgemalt. Die Anordnung nach Größe oder Richtung bringt sie in Bewegung, in einen Rhythmus. Ein anderer Modus der Vereinfachung führt das Objekt auf die Linie zurück, eine einzige Gerade beschreibt einen Körper. Die locker geschwungene, oft punktierte Linie scheint überhaupt generell Signatur des Lebendigen, während die geometrische Form eher für Unbelebtes steht.

Der französiche Schriftsteller Michel Leiris, mit dem Miro das ganze Leben eine enge Freundschaft verband, hat bereits 1929 in einem Aufsatz für 'Documents‘ von Miro als Asketen gesprochen. Er verglich seine Art zu malen mit einer Übung tibetanischer Mönche, die, um zur Essenz der Dinge vorzustoßen, sich um eine völlige Leere bemühen. Sie versuchen, ein Ding so vollständig und intensiv zu erfassen, bis sie nach und nach jedes seiner Attribute vernachlässigen können, um zu einem Wissen von der Leere vorzustoßen, die nicht der negative Begriff des Nichts, sondern diesem geradezu entgegengesetzt ist, das eigentliche Absolute. Leiris spricht von einem „Prozeß sukzessiver Zerstörungen und Wiederherstellungen“. Die Phantasmagorien des Malers Miro sind für ihn das Ergebnis eines identischen Exerzitiums. Am Ende fällt kein Punkt, keine Linie, kein Pinselstrich von ungefähr auf das Papier.

In einer Bleistiftskizze zu einer Landschaft (1977), die eine horizontale Linie zeigt, zwei flüchtige Dreiecke, ein unregelmäßiges Viereck, drei parallele kurvige Linien sowie zwei Geraden, die sich zu schwarzen Punkten verdicken, steht plötzlich die Essenz von Landschaft vor Augen: Häuser, ein Weg, ein Feld, Büsche und Baumreihen. Und jeder Punkt, jeder Strich, jedes krakelige Kürzel scheint genau an seinem Platz. Miro, sich selbst ein Leben lang ein unerbittlicher Kritiker, sagt dazu: „In meinen Bildern gibt es eine Art Blutkreislauf. Ist eine Form am falschen Platz, zirkuliert das Blut nicht mehr. Die Balance stimmt nicht mehr. Wenn ein Bild mir nicht gefällt, empfinde ich ein körperliches Unwohlsein, als sei ich krank, als schlüge mein „Herz unregelmäßig, ich kann nicht mehr arbeiten, ich habe das Gefühl zu ersticken“.

Anhand der Skizzen, Zeichnungen und Kompositionsstudien läßt sich verfolgen, wie Miro zu seinem Bildvokabular findet. Da ist die erste aquarellierte Bleistiftzeichung „Die Fußpflegerin“, die der Achtjährige bereits selbstbewußt mit seinem Namen Joan Miro Ferra signiert und mit dem Jahr der Entstehung, 1901, versieht. Da sind die ersten Zeichnungen des Schuljungen Miro, deren kalligraphischer Duktus bereits von der Sorgfalt spricht, mit der Miro sein Leben lang jedes Werk in Angriff nehmen sollte. Als der Vater, ein Goldschmied, ihn in eine kaufmännische Lehre preßt, damit einmal etwas aus ihm werde, erkrankt er lebensgefährlich. Darauf geben die Eltern seinem Wunsch nach und lassen ihn Maler werden. Er besucht die Kunstschule Galis in Barcelona, wo er lernt, nach dem Tastsinn zu zeichnen, um sein Formgefühl zu schulen. Hier zeichnet und aquarelliert er Akte in Kohle oder Tusche, die mit plastischer Kraft in den Raum treten.

Später geht er nach Paris, wo er in den 20er Jahren zu den Anfängen seines stilisierten Bildrepertoires findet. Seine Surrealistenfreunde, u.a. Breton, Eluard, Aragon und Desnos, regen ihn zu den Traumbildern an, deren phantastische Figurationen zum großen Teil poetische Metamorphosen katalanischer Szenerien und Motive sind. Unter ihrem Einfluß malt er die „Tableaux-poemes“: Bildgedichte. Er experimentiert mit objets trouves, mit vorgefundenen Gegenständen, die er zu Collagen oder Assemblagen formiert, nach denen wiederum Bilder entstehen. Ende der 30er Jahre besucht er in einer künstlerischen Krise, verursacht durch den Bürgerkrieg in seiner spanischen Heimat, als fast 40jähriger noch einmal eine Klasse für Aktzeichnen an der Academie de la Grande Chaumiere in Paris. In den grausam deformierten Akten aus dieser Zeit scheint sich Miros wütende Aggression über den Weltzustand zu sammeln.

In dem Zyklus der Constellations, Gouachen, zu denen Breton Gedichte schrieb, vberbindet Miro Figuren und Vögel, Zeichen und Gestirne, Dreiecke und Mondsichel, gebrochene Linien und Serpentinen in einer kosmischen Ordnung. Die Farben Schwarz, Rot und Gelb dominieren. Zusammen mit den sparsamen Linien und klaren Formen schaffen sie einen harmonischen Lyrismus. Wenn man an den Poeten Miro denkt, hat man die Constellations vor Augen.

Anfang der 60er Jahre malte Miro seine weißen und blauen Leinwände im Riesenformat. Sie nehmen einen nahezu monochromen Gestus wieder auf, wie er, 20 Jahre vor Pollock oder Rothko, bereits in der Peinture und der Naissance du monde aus dem Jahre 1925 und in der Gouache auf schwarzem Papier von 1937 sichtbar wird und der die amerikanischen Maler des abstrakten Expressionismus beeinflußte. Auch hier zeigen die Skizzenbücher, wie reflektiert Miro zu Werke ging, mit der „Konzentration eines japanischen Bogenschützen“, wie er selbst sagte. Die Rhetorik der Leere, die aus diesen Leinwänden spricht, ihre Magie, hat mit Mathematik zu tun, nicht mit Rausch. Dahinter stehen analytische Operationen. Es sind pythagoräische Bilder.

Michael Stoeber

Bis 19.Februar, Kestner-Gesellschaft Hannover, Warmbüchenstraße 16., Katalog 48 DM

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