: Drogensüchtige: Raus oder rein in die Roonstraße
■ Eine Straße ringt mit sich: Ist in einem von 100 Häusern auch Platz für 20 Fixer? / Drogenabhängige luden cleane Nachbarn zu sich ein
Es war eng, es gab Apfelsaft und Salzstangen, Gelegenheit zum Dampf ablassen oder Verständnis zu zeigen. Es gab „nachvollziehbare Ängste“ und - als Gegenmittel - nüchterne Informationen und gutgemeinte Vermittlungsversuche. Rund 50 Anwohner der Roonstraße drängelten sich am Samstag abend in dem 25-Quadratmeter-Aufenthaltsraum für obdachlose Drogenabhängige im Viertel. Seit dem 22.Dezember finden in der Roonstraße 65 allabendlich etwa 15 bis 20 Fixer Zuflucht vor der Kälte und - bis zum nächsten Morgen - ein Notbett. Ohne das Angebot, eines - im Schichtdienst von je zwei Sozialarbeitern - betreuten Übernachtens, müßten sie bei Minustemperaturen auf Parkbänken, in Hauseingängen oder unter Brücken schlafen.
Von den den Gästen, die sich am Samstag im Fernseh -Gemeinschaftsraum des Notquartiers versammelten, hat allerdings niemand derartige Notquartiere nötig. Wer sich an diesem Abend an der Hausordnung - gut lesbar direkt hinter der Windfangtür - vorbeidrängelte, hat ein eigenes Bett, viele sogar ein eigenes Haus in der Roonstraße und Paragraphen wie diesen nicht nötig: „Um unser Haus nicht zu gefährden, ist es verboten, in den Schlaf-und Gemeinschaftsräumen zu drücken. Wer sich dieser Bitte entzieht, möge zur Verantwortung gezogen werden.“
Seit Weihnachten kracht es in der Wohnstraßen-Idylle, deren
Ruhe bislang höchstens durch vorbeiratternde Züge und gelegentliche Auto-Raser gestört wurde. Dazwischen spielten die Kinder auf dem Kopfseinpflaster. Damit, so befürchten manche Anwohner, könnte angesichts der neuen Nachbarn jetzt Schluß sein. Schon ein paar Tage, nachdem die Drogenabhängigen Matratzen und Decken in ihr neues Notquartier geschleppt hatten, trafen sich empörte Alteingesessene zu einer ersten Protestversammlung. Anfang Januar fand sich in allen Briefkästen der Nachbarschaft
sich ein ein Din-A-3-Flugblatt mit der knalleroten Überschrift „Kein Drogenhaus in der Roonstraße“. Der erste Satz lautete: „Das Vorgehen der zuständigen Behörden ist skandalös.“ Der Schlußsatz: „Wir sehen es nicht ein, daß die Problematik der Drogenabhängigkeit mit ihren Begleiterscheinungen wie Verelendung, Straßenprostitituon und Anschaffungskriminalität auf unseren Stadtteil konzentriert wird und schlagen Behördenräume abseits von Wohnbebauung vor.“
Für eine „absolute politische
Sauerei“ hielt denn am Samstag im ersten Gespräch, in dem nicht über, sondern mit den neuen Nachbarn geredet wurde, der Flugblatt-Autor das Vorgehen der Behörde: In einer Nacht -und Nebelaktion sei - über die Köpfe der Anlieger hinweg ein Obdachlosenasyl für Fixer eingerichtet worden: „Ich bin extra aus dem Viertel in diese Straße gezogen, weil ich meinen beiden Kindern den Anblick sozialen Elends ersparen will“, bekannte der junge Familienvater unter vereinzeltem zustimmenden Kopfnic
ken und mehrheitlich unverständig-un gehaltenen Au-und Oi-Zwischenrufen. Unterstützung erhielt er von einem Nachbarn. Er verlangte „Garantien“, daß „die Ansammlung von Drogenabhängigen“ nicht „Dealer, Freier und Kriminelle in unsere Wohnstraße zieht“.
Insgesamt blieb die Fixer-raus-Fraktion am Samstag allerdings in der Minderheit. Nur ein Hausbesitzer, der sich selbst als „Sozialarbeiter mit langjähriger Erfahrung in der Suchtberatung“ vorstellte, gab seiner Sorge um den Werterhalt seines Grundbesitzes lautstark Ausdruck: „Ich habe schließlich auch wirtschaftliche Interessen, und ich weiß, daß mindestens 50 Leute in dieser Straße genauso denken wie ich, aber jetzt nicht da sind.“
Da waren dafür eine ganze Reihe von Anwohnern, für die die Drogenabhängigen - bei allen verständlichen Vorbehalten auch „eine Chance für unsere Straße darstellen“: „Die Chance, unter uns ins Gespräch darüber zu kommen, wie wir es mit den Benachteiligten in unserer Gesellschaft halten“. Einer der Nachbarn: „Das Problem ist doch folgendes. Jeder findet, daß für Drogenabhängige etwas getan werden muß, aber fast jeder findet auch, daß das nicht ausgerechnet vor seiner Haustür stattfinden soll.“
Dafür, „das Beste aus der Siuation zu machen“ und „miteinander statt gegeneinander“ nach
Lösungen zu suchen, plädierte auch eine junge Mutter aus dem Nachbarhaus. Ihr Vorschlag: Regelmäßige Treffen zwischen neuen und alten Nachbarn in der Roonstraße, um Konflikte zu lösen. Denn, daß in Zukunft nie und nirgends ein gebrauchte Spritze auf der Straße zu finden sein wird, dafür mochte auch Raimond Suchland, 2. Vorsitzender des „Arbeitskreises Kommunale Drogenpolitik“, dem offiziellen Träger des Hauses, nicht übernehmen. Suchland: „Wir können und werden uns schon in unserem eigenen Interesse - nur alle Mühe geben, es uns nicht mit unsern Nachbarn zu verderben.“
Spritzensuchdienst
für gute Nachbarschaft
Seine Zusicherung: Bewohner und Betreuer des Hauses wollen selbst einen „Spritzensuchdienst“ in der Straße organsisieren und auch sonst dafür sorgen, daß die Roonstraße 65 möglichst ein „genauso normales Wohnhaus bleibt wie alle anderen in der Straße“. Am 16.1. geht die Auseinandersetzung in die nächste Runde. Dann steht die Roonstraße 65 auf der Tagesordnung des Stadtteilbeirats. Und spätestens dann wird vermutlich auch die Initiative „Kein Drogenhaus in der Roonstraße“ vielköpfig vertreten sein. Ortsamtsleiter Hucky Heck hat ihren Vertretern bereits angeboten, „in jedem Wohnzimmer der Straße sachlich zu informieren und sich der Diskussion zu stellen“.
K.S.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen