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Fundamentalisten machen mobil

■ In Algerien haben die tätlichen Übergriffe auf Frauen massiv zugenommen / Nur der Schleier bietet Schutz Demokratische Rechte werden von FundamentalistInnen als Verwestlichung und Abkehr vom Islam bekämpft

Sabine Kebir

Am 14.Dezember gingen in Algier 5.000 Menschen für das immer mehr in Gefahr geratende Recht der Frauen auf Arbeit und Sicherheit in der Öffentlichkeit auf die Straße. Die Demonstration stand unter der Losung „Gegen Gewalt und Intoleranz“, die von den stetig stärker werdenden fundamentalistisch-islamischen Strömungen ausgehen. Aus allen Landesteilen werden seit geraumer Zeit massenhaft Übergriffe auf Frauen gemeldet, die von der Anmache auf der Straße bis zu Brandanschlägen auf Wohnungen von Frauenrechtlerinnen reichen.

Es mag paradox scheinen, daß die frauenfeindlichen Aktivitäten ausgerechnet nach den schweren Unruhen im Oktober 1988 rasant angestiegen sind. Denn die vorwiegend jungen Menschen, die damals revoltierten und von Regierungstruppen zusammengeschossen und gefoltert wurden, waren in erster Linie für soziale Gerechtigkeit auf die Straße gegangen. Sie hatten es satt, daß von der gemäßigten Modernität, die die regierende FLN (Front de Liberation Nationale) vertrat, schon lange nurmehr deren Funktionäre und auch wenige Funktionärinnen - profitierten. Für die meisten jungen Leute gab es schon seit Jahren keine Aussicht auf Ausbildung, Arbeit, Wohnung und damit auch nicht auf Familiengründung. Und das heißt in einem islamischen Land noch immer auch keine Aussicht auf Sex. Aus der Spannung, daß Frauen zwar präsent, aber nicht anfaßbar sind, kann nichts anderes als Aggressivität erwachsen. Demokratie statt Brot

Die Revoltierenden von 1988 haben zunächst etwas anderes bekommen, als sie verlangt hatten: statt mehr und besseres Brot - Demokratie. In der Tat das einzige, was die noch herrschende FLN anbieten konnte. Im Februar 1989 wurde eine Volksabstimmung für eine neue Verfassung abgehalten, in der die sozialistische Option gestrichen und ein Mehrparteiensystem beschlossen wurde. Während Presse-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit aufblühten und politische Emigranten aller Couleur heimkehrten, mußte sich die Hälfte der Bevölkerung plötzlich unfreier denn je fühlen: Schon während der Unruhen und in den Wochen danach nahmen die tätlichen Übergriffen auf jene Frauen deutlich zu, die zumindest tagsüber das Haus verlassen dürfen, sei es, um zu arbeiten, sei es, um einzukaufen oder Freundinnen zu besuchen.

Eine Frau in europäischer Kleidung, die sich auf der Straße frei bewegt, betritt nicht nur ein traditionell den Männern vorbehaltenes Terrain, sondern sie stellt - ganz ungeachtet ihres Alters - für die jungen, frustrierten Männer eine ungeheure sexuelle Herausforderung dar. Die Aggressionen gehen vor allem von Jugendlichen aus, die der seit Jahren schon anwachsenden fundamentalistischen Bewegung zumindest nahestehen. Die Herrschaft über Frau und Kinder ist die einzige und letzte Macht, die dem islamischen Mann angesichts der aussichtslosen ökonomischen Lage noch angeboten werden kann. Hier soll er sein angeschlagenes Selbstbewußtsein wieder regenerieren dürfen. Der körperliche Angriff auf scheinbar die Männer imitierende, europäisch gekleidete Frauen wird im Bewußtsein des Helden zum antiimperialistischen Akt: An der westlichen Lebensweise hat er nicht teilnehmen dürfen, und die anderen sollen das auch nicht, schon gar nicht die Frauen. Und mit jeder niedergeschlagenen Frau in europäischer Kleidung hat man auch einen vom Islam abtrünnigen Familienvater oder Ehemann entehrt. Zurück zum

islamischen Familienrecht

Die Macht der Fundamentalisten in der Frauenfrage ist mittlerweile so groß, daß es ihren pressure-groups Mitte Dezember gelang, den Konzertauftritt des meist miniberockten Pop-Idols Linda de Suza zu verhindern, den eine staatliche Agentur vermittelt hatte. (Auftritte männlicher Pop-Idole wurden bislang nicht behindert.)

Die Frauendemonstration vom 14.Dezember trat auch für die Annullierung des 1984 erlassenen Familiengesetzes ein, das die in der Verfassung festgelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau unterläuft und statt dessen auf die das traditionelle islamische Recht konservierende Scharia zurückgegriffen hat, in der unterschiedliche Rechte und Pflichten der Geschlechter festgeschrieben sind. Damit wurde das islamische Erbrecht bekräftigt, wonach den Frauen nur die Hälfte des den Männern zukommenden Erbes gehört. Die Vielehe für Männer blieb legal. Die Scheidungsmodalitäten sind für beide Geschlechter verschieden, das heißt äußerst nachteilig für Frauen. Auch der unschuldig geschiedenen Frau kann in keinem Falle die Wohnung zugesprochen werden. Sie bleibt zeitlebens unmündig, sie ist laut Gesetz verpflichtet, „ihrem Mann zu gehorchen und ihm Respekt in seiner Rolle als Familienchef zu erweisen“. Damit ist er auch ein für alle Mal Herr über ihre Entscheidung, ob sie arbeiten gehen kann oder nicht. Nach dieser Niederlage löste sich die ohnehin fast nur im intellektuellen Milieu verankerte algerische Frauenbewegung auf.

Angesichts der zunehmenden Aggressionen nach den Oktoberunruhen 1988 bildeten sich an mehreren Orten aber erneut Frauenkomitees und -vereinigungen, um gegen die gefährliche Situation aufmerksam zu machen und dagegen anzukämpfen. Während die noch herrschende FLN-Partei nur verbal die zunehmende Gewalt gegen Frauen anprangert (in der FLN selbst gibt es einen immer stärker werdenden fundamentalistischen Flügel), hat die neugegründete Partei „Sammlung für Kultur und Demokratie“ (Ressemblement pour la Culture et la Democratie) die volle Verwirklichung des Verfassungsgebots der Gleichheit beider Geschlechter in ihr Programm geschrieben.

Die Fundamentalisten versuchten in den Medien, die gegen das Familiengesetz auftretenden Frauen als sexbesessene Monstren hinzustellen, deren Forderung nach Gleichheit sicher auch bedeute, daß sie vier Ehemänner haben wollten. Abassi Mandani, einer der Führer der neuen fundamentalistischen Partei FIS (Front du Salut Islamique), kommentierte in einem Interview, daß die Demonstration am 14.Dezember „eine Herausforderung an das Bewußtsein eines Volkes und an die Werte einer Nation“ gewesen sei. Diese Frauen, versicherte er „sind die Fangstricke des „Neokolonialismus und die Avantgarde der kulturellen Aggression“. Fortschritt und Gerechtigkeit - aber nicht für Frauen

Während an der Demonstration vom 14.Dezember Frauenorganisationen aus Algier und Umgebung teilgenommen hatten, kam es eine Woche später, am 21.Dezember, zu einer Gegendemonstration, zu der 60.000 Männer und 20.000 nach islamischen Normen gekleidete Frauen aus dem ganzen Land herbeigekarrt wurden. Dem Grundsatz der Fundamentalisten folgend, keine gemischten Veranstaltungen zuzulassen, stellten sich Männer und Frauen in verschiedenen Straßen des Zentrums der Hauptstadt auf. Gegen die lauten Stimmen der radikalsten Fundamentalisten, die Frauen in der Öffentlichkeit gar nicht mehr zu Wort kommen zu lassen, sprachen dann doch auch einige Teilnehmerinnen der Kundgebung. Sie plädierten für den Erhalt des islamischen Familienrechts, aber auch für das Recht der Frauen auf Arbeit - hinterm Schleier.

Daß sich die Frauenfrage zum hauptsächlichen Zankapfel des nun beginnenden algerischen Wahlkampfes herauskristallisiert, ist kein Zufall. Es geht darum, ob es demographisch überhaupt noch möglich ist, alle Individuen gleichberechtigt in ein Fortschritts- bzw. Gerechtigkeitskonzept aufzunehmen - oder eben nur die Hälfte. Die Mitte der siebziger Jahre eingeleitete Wirtschaftspolitik basierte auf dem Import von High -Technology. Die neuen, hochrationalisierten Fabriken gaben von vornherein nur wenigen Menschen Arbeit und erwiesen sich rasch als technologisch nicht beherrschbar. Das große Bevölkerungswachstum seit der Unabhängigkeit 1962 (jede Frau bekommt durchschnittlich 7,2 überlebende Kinder) konnte nur noch mit Hilfe von enormen Nahrungsmittelimporten sozial im Zaume gehalten werden. Als Mitte der achtziger Jahre die Gewinne aus dem Erdöl- und Erdgasgeschäft drastisch zurückgingen, spitzte sich die gesellschaftliche Situation sofort zu. Nicht nur, daß die Versorgungslage immer schwieriger wurde, auch die sozialen Leistungen wie Schulbesuch der Kinder (einschließlich preiswerter Lernmittel) und vor allem auch die medizinische Betreuung der Bevölkerung konnten nicht in dem bereits erreichten Ausmaß aufrecht erhalten werden. Die nun ausfallenden, bislang vom Staat angeboteten Solidarstrukturen wurden mehr und mehr von den Moscheen übernommen. Mit Geld aus Saudi -Arabien lieferten die Moscheen nicht nur Waffen für eine regelrechte studentische Stadtguerilla (die Anfang der achtziger Jahre besonders Studentinnen, aber auch solidarische männliche Studenten terrisierte). Sie sicherten auch medizinische Betreuung für die, die sie anderswo nicht mehr bekommen konnten. Sie boten Unterricht an - auch für Mädchen, für die der Weg zur staatlichen Einheitsschule als zu gefährlich oder einfach als ungehörig angesehen wurde. Wer durchs Land reist und Hilfe oder ein Obdach nötig hat, kann über die Moschee die Adresse hilfsbereiter Brüder und Schwestern bekommen. Der Islam ist in Algerien nicht mehr nur Mystik, sondern wieder zu einem sozialen Netz geworden. Und da die Moscheen durchaus auch ein „Frauenprogramm“ angeboten haben, dürfte nicht verwundern, daß die Fundamentalisten nun so viele DemonstrantInnen auf die Straße bekommen haben. In züchtiger Vermummung

als Arbeitskräfte willkommen

Die aus dem Orient stammenden islamisch-fundamentalistischen Ideologien, die sich in Algerien ausbreiten konnten, predigen nicht mehr die Verbannung aller Frauen an den häuslichen Herd. Als Krankenschwestern, Lehrerinnen, wohl auch in manchen niederen Verwaltungsämtern sollen sie - in züchtiger Vermummung - durchaus willkommen sein, insbesondere in Bereichen, wo Frauen vorwiegend unter sich sind und balzende Männer kaum auftauchen. Wesentlich für die Fundamentalisten ist aber, daß ein Recht auf Arbeit für Frauen nirgendwo festgeschrieben wird, daß es also weiterhin allein von etwa vorhandenen Lücken auf dem Arbeitsmarkt und vom Vater oder Ehemann abhängt, ob sie arbeiten dürfen oder nicht. Eine öffentliche Förderung oder gar Quotierung von weiblichen Arbeitsplätzen soll ausgeschlossen bleiben. Hier stellt sich der Fundamentalismus auf den Boden der ökonomischen Realitäten der arabischen Länder, in denen einerseits die im Verhältnis zur Bevölkerungsentwicklung immer knapper werdenden Arbeitsplätze den Männern grundsätzlich reserviert bleiben sollen, in denen zum anderen aber die Frauen in der Tat nicht mehr gänzlich aus der Öffentlichkeit zu verbannen sind (zumal sich eine solche Konzeption aus dem Koran auch gar nicht ableiten läßt worauf FrauenrechtlerInnnen stets mit Nachdruck hingewiesen haben). Freiheiten unterm Hidjab

In den siebziger Jahren legten immer mehr algerische Frauen den für die Region typischen weißen - oder auch schwarzen Schleier ab. In den achtziger Jahren aber legten immer mehr und besonders ganz junge Frauen den orientalischen Hidjab an, ein langes, schmales Gewand. Der Hidjab wurde zum Symbol der erneuten Hinwendung zum Islam, aber auch zum Zeichen der Intoleranz. Während manche Fernsehmoderatoren es ablehnen, Frauen in Hidjab in ihren Sendungen zuzulassen, treten gleichzeitig Schulklassen in Streik, weil ihre Lehrerin das neue Gewand noch nich trägt. Manche Lehrer wiederum fordern von ihren Schülerinnen ultimativ, den Hidjab anzulegen.

Mögen die ersten Hidjab-Trägerinnen tatsächlich von ihren männlichen Vormündern zu dieser Bekleidung gezwungen worden sein - mittlerweile entschließen sich auch viele Frauen freiwillig zum Hidjab. Er kann oft ganz oder zum Teil zu Hause hergestellt werden und reflektiert somit das soziale Problem der übergroßen Mehrheit der Frauen, die über keine eigene Einkommen verfügen und sich europäisch geschneiderte Kleidung gar nicht leisten können. Hier wurde eine eigene Identität gegenüber dem westlichen Modediktat möglich, die nicht die Form äußerer Verelendung annahm. Gewichtiger aber ist wohl der Grund, daß der Verzicht auf europäisch maskierte Koketterie für viele Frauen ein Zugewinn an Freiheit bedeuten konnte. Eine Frau im Hidjab wird auf der Straße nicht angegriffen, und viele Eltern halten den Besuch von Schule und Universität ihrer Töchter für weniger problematisch, wenn diese den Hidjab tragen. Und so manch junges Mädchen absolviert im Schutze des Hidjab die verwegensten Abenteuer. „Sehen und nicht gesehen werden“, wurde also eine Formel, hinter der sich unter Umständen mehr Emanzipation verbergen kann als bei den Trägerinnen von Dior -Imitaten aus der bisherigen Führungsschicht. Die Ziele der Frauen, die am 21.Dezember demonstriert haben, sind denen der Demonstrantinnen vom 14.Dezember nicht so unähnlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Das mag angesichts der Übermacht fundamentalistischer Männer freilich wenig praktische Bedeutung haben.

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