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Lieber ein Zaun?

■ Der Chefkommentator des 'Neuen Deutschland‘ beschäftigt sich in der Wochenendausgabe der SED-Zeitung mit der Zukunft der Berliner Mauer

Die Frage, was mit der Mauer wird, beschäftigt die Gemüter. CSSR-Präsident Havel wunderte sich, daß sie überhaupt noch steht. Doch sowenig sie an einem Tag gebaut wurde, ist sie an einem Tag abzutragen. Die „Mauerspechte“ würden dafür Jahrzehnte benötigen, doch es ist anzunehmen, daß ihr Eifer schon bald erlahmt. Denn wie lange werden sie noch Käufer finden, die auf dem Ku'damm für ein paar abgeschlagene Brocken 20 bis 30 DM berappen? Auch der Verkauf von rund 40 tonnenschweren Mauersegmenten, frei geworden durch die neugeschaffenen Grenzübergänge, bietet keine Lösung des Problems. Gebote für mehr als eine halbe Million Mark je Segment sollen sowohl von Privatleuten als auch Museen und Galerien vorliegen, besonders gefragt sind Teile mit ausdrucksvollen Graffiti.

Damit werden aber nur schätzungsweise 100 Meter Mauer verschwinden - es bleibt ein „Rest“ von 165.000 Metern Betonplattenwand. Was damit machen? Der Abriß würde Millionen kosten. Woher das Geld nehmen, woher die Technik, die Arbeitskräfte? Und: Was anstelle der Mauer, denn eine Grenze muß, welchen Charakter sie auch haben mag, als solche kenntlich sein. Der Crack-Vorschlag, einen Zaun zu errichten, klingt faszinierend. Er hat einen Pferdefuß. Ein Zaun, ob nun Maschendraht oder sibirische Kiefer, kostet, und die Zeiten, wo wir glaubten, aus dem vollen wirtschaften zu können, sind vorbei, endgültig. Also: Bauen wir keine Luftschlösser (oder Zäune), konzentrieren wir uns auf das Machbare. Solange keine bessere Lösung gefunden ist - mit einer Mauer, die so durchlässig wie möglich und so schützend wie nötig ist.

Gerd Prokot

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