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Für die Roma soll kein Platz mehr sein

Vorbereitung zur Ausweisung jugoslawischer Roma in mehreren Städten in NRW / Kommunen machten Druck auf die Landesregierung / Abschiebung wird mit Raumnot begründet / Zuviele Aus- und ÜbersiedlerInnen? / Grundsätzlich will sich SPD für Bleiberecht einsetzen  ■  Von Bettina Markmeyer

Essen (taz) - Noch kurz vor Weihnachten versicherte der nordrheinwestfälische Innenminister Herbert Schnoor (SPD), es werde „keine Abschiebung von Roma in großer Zahl geben“. Weihnachten ist vorbei. Jetzt prescht die Essener Verwaltung vor und will in den nächsten Tagen etwa 200 der zumeist in Übergangswohnheimen lebenden Roma, deren Asylanträge bereits rechtskräftig abgelehnt worden sind, schriftlich auffordern, Essen innerhalb eines Monats zu verlassen. In anderen Städten wie Duisburg oder Mönchengladbach sind etwa 50 Menschen unmittelbar mit Abschiebung bedroht. Aufschub haben all jene, deren Asylverfahren noch nicht abgeschlossen sind. Eine Chance auf Anerkennung des Asylantrags besteht für jugoslawische Roma de facto nicht.

Am 12. Dezember, als das Kabinett allen 4.000 Yeziden und knapp 5.000 türkischen Christen in Nordrhein-Westfalen ein dauerhaftes Bleiberecht gewährte, hob es zugleich den Abschiebestopp für jugoslawische Roma auf. Betroffen davon sind etwa 3.500 Menschen. Zugleich gab das Land damit die Entscheidung über mögliche Abschiebungen in die Zuständigkeit der Kommunen zurück.

Daß jetzt tatsächlich abgeschoben wird, ist nicht überraschend. Denn der Druck, den am 4.August 1989 vom Innenminister per Erlaß ausgesprochenen Abschiebestopp für Roma wieder aufzuheben, kam von den Kommunen selbst. „Roma und Sinti“, so der Essener Sozialdezernent Herber (SPD), „werden nicht auf die Aufnahmequoten angerechnet“. Die Städte hätten keinen Platz mehr, „neben Aus- und Übersiedlern kamen bis Ende letzten Jahres noch jeden Tag 20 bis 30 Asylbewerber“. Seit Anfang dieses Jahres ist zur Beschleunigung der Asylverfahren die zentrale Aufnahmestelle für AsylbewerberInnen (ZAS) in Düsseldorf in Betrieb. Am heutigen Montag wird sie - gegen den Protest von Flüchtlingsinitiativen - offiziell eingeweiht.

Die Roma sind zur Manövriermasse zwischen Land und Städten geworden. Hatte Innenminister Schnoor im August des letzten Jahres den Abschiebestopp damit erklärt, er vermöge „zur Zeit nicht auszuschließen, daß eine größere Zahl von Roma in Rumänien und Jugoslawien Opfer von Ausschreitungen sind“, so hat sich heute daran nichts geändert. Eine Studie der Gesellschaft für bedrohte Völker über die Situation der Roma in Jugoslawien lag jedoch nicht pünktlich zur Kabinettssitzung am 12. Dezember vor. Das lieferte der Landesregierung den Vorwand, dem Druck der abschiebewilligen Städte nachzugeben. Andererseits behielt sich Innenminister Schnoor vor, die Abschiebefrage erneut zu prüfen, wenn die Gesellschaft ihren Bericht vorlegt. Das könnte nun schon im Januar sein. Gleichzeitig sind im Petitionsausschuß des Landtages noch viele Verfahren von Roma anhängig, die sich gegen die Abschiebung wehren. Vor dessen Entscheidung, die für die zweite Januarwoche erwartet wird, sollte, so war es ursprünglich geplant, kein Kabinettsbeschluß über die Aufhebung des Abschiebestopps getroffen werden.

Das Verwirrspiel zeigt, daß die Roma so lange dem Behördengerangel ausgesetzt bleiben, wie nicht grundsätzlich für oder gegen ein Bleiberecht aus humanitären Gründen entschieden worden ist. In der Bundesrepublik, wo von allen Asylanträgen im letzten Jahr nur noch 5 Prozent anerkannt wurden (1988 waren es noch 8,6 %), haben sie als AsylbewerberInnen keine Chance.

Die Forderung der Roma nach einem Bleiberecht findet jedoch langsam breitere Unterstützung. Indiz dafür ist nicht zuletzt der Beschluß der nordrhein-westfälischen SPD auf ihrem letzten Parteitag in Köln, „schnellstmöglich ein Konzept für das Bleiberecht der zur Zeit in Nordrhein -Westfalen anwesenden Roma zu entwickeln“. Zur Tat schreiten wollen die NRW-SozialdemokratInnen aber nur dann, wenn auch andere Bundesländer an einem Bleiberecht arbeiten, um den „Sogeffekt“, also die Zuwanderung weiterer Roma nach NRW, zu verhindern. Dabei scheint man sich längerfristig, wie auch in anderen SPD-regierten Bundesländern, an dem Hamburger Modell zu orientieren. Eine kleinere Gruppe Roma darf bleiben und wird gefördert (z.B. Schulbesuch der Kinder), die größere Gruppe jedoch weiterhin mit Abschiebung bedroht. Ähnlich verfährt man bereits mit den etwa 900 Roma in Köln. Auch in Essen zeichnet sich die Bereitschaft ab, etwa 150 Roma aufzunehmen, alle anderen jedoch, und das sind mehr als 500, abzuschieben.

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