: Eisenbahnerstreik in Südafrika wird fortgesetzt
■ Trotz massiver Repressalien durch die Polizei und Massenentlassungen geben 25.000 streikende schwarze Arbeiter nicht auf / Finanziell ist die Gewerkschaft längst am Ende / Streikende leben von der Solidarität der Dorfgemeinschaft
Johannesburg (ips) - Während in Südafrika Weihnachten und der Beginn eines neuen Jahrzehnts gefeiert wurden, saß der 51jährige Sisa Spambo die meiste Zeit mit zehn anderen Männern in einem kahlen Raum einer Arbeiterunterkunft und stellte sich die Frage, wie er seine Familie ernähren könnte.
Sisa gehört zu den 25.000 schwarzen Eisenbahnarbeitern, die seit acht Wochen für höhere Löhne und eine Änderung des Disziplinarrechts im verstaatlichten Eisenbahnunternehmen des Landes streiken.
Der Ausstand gilt als einer der bedeutendsten und teuersten Streiks in der turbulenten Geschichte der Arbeitskämpfe im Apartheid-Staat. Trotz Massenentlassungen und brutalen Übergriffen durch Polizei und Streikbrecher blieben die Arbeiter auch über die Feiertage hinweg standhaft.
Sisas Frau und seine vier Kinder leben in ihrem Heimatdorf in der Transkei, einem der sogenannten „unabhängigen“ Homelands, die die weiße Minderheitsregierung für die schwarze Bevölkerung eingerichtet hat.
Er habe keinerlei Kontakt mit seiner Familie, sei sich aber sicher, daß es ihnen schlecht gehe. „Ich weiß das, weil ich ihnen nichts zu Weihnachten schicken konnte.“
Während die südafrikanische Regierung sich zu Verhandlungen mit glaubwürdigen schwarzen Führern bereiterklärt, hat die verstaatlichte Eisenbahngesellschaft Gespräche mit den Arbeitern abgelehnt.
Die „South Africa Transport System“ (SATS) versuchte, den landesweiten Streik durch Entlassungen und Neuanstellungen von nichtorganisierten Arbeitern zu brechen. Die unabdingbaren einfachen Tätigkeiten werden unterdessen von weißen Schulkindern und Soldaten übernommen.
Mehr als zehn Todesopfer
unter den Streikenden
Mindestens zehn Arbeiter kamen bisher bei einer Reihe von Polizeiangriffen auf Gewerkschaftsversammlungen und bei Attacken von bewaffneten Streikbrechern auf den Bahnsteigen ums Leben. Nachdem die Gewerkschaft rechtliche Schritte in die Wege geleitet hatte, um sich gegen die von der SATS beabsichtigte Räumung der Eisenbahnerhotels zu wehren, überfielen Streikbrecher die Arbeiter des Nachts in den Unterkünften.
Am Silvesterabend begruben Sisa und seine Kollegen Creswell Malunga, der zu Tode gehackt wurde, als er schlafend in seinem Bett lag, mindestens 30 weitere Personen wurden verletzt. Nach Auffassung von Gewerkschaftsmitgliedern wurden die Angreifer von der Gesellschaft geschickt, nachdem die Delogierung von einem Gericht blockiert wurde.
Seit Beginn des Streiks weigert sich die schwarze Bevölkerung, ihre Fahrkarten zu bezahlen. Auch der Einsatz von Armeepatrouillen konnte diese Solidarität nicht brechen.
Mit Tränengasgranaten feuern Soldaten auf Waggons, in denen sich die Bewohner der Townships zusammendrängen und Freiheitslieder singen.
Die Strategie der SATS erwies sich als erfolglos. Auch nach acht Wochen ohne jede Bezahlung haben sich nur etwa 20 Arbeiter wieder zur Arbeit gemeldet. Diese Beharrlichkeit erklärt Socj Thozamile Taai, ein Funktionär der Gewerkschaft der südafrikanischen Eisenbahn- und Hafenarbeiter (SARHWU) damit, daß die Mitglieder sowohl gegen einen Arbeitgeber und die Regierung kämpfen.
Schon zu lange fühlten sich die Arbeiter ausgebeutet. Einige hätten schon seit 30 Jahren für die SATS gearbeitet und verdienten noch immer nur 600 Rand monatlich, was etwa 240 US-Dollar entspricht. Viele Arbeiter erhielten sogar nur den Mindestlohn von 480 Rand. Diese Löhne seien in einem Land, wo die konservativsten Schätzungen von einem Mindestbedarf von 800 Rand pro Monat für eine durchschnittliche Familie ausgehen, mit ein Grund für die Entschlossenheit der Arbeiter.
„Selbst wenn wir arbeiten, können wir unsere Familien nicht versorgen. Also, was haben wir zu verlieren?“ argumentiert Sisa.
Ein weiterer Grund für den Ärger der schwarzen Belegschaft ist der „offene Rassismus“ bei der Bahn. Deshalb sei auch eine Änderung des Disziplinarrechts eine der wichtigsten Forderungen der Streikbewegung, erklärt Sisa. Ein schwarzer Arbeiter könne von einem weißen Vorgesetzten gefeuert werden, bei einer Klage gegen die Maßnahme stehe er aber wieder einem Buren gegenüber. Begehe ein Weißer den gleichen Fehler, werde er nicht gekündigt, meint Sisa.
Die Eisenbahngesellschaft war früher ein geschützter Bereich für Angehörige der weißen Arbeiterklasse. Rund die Hälfte der 180.000 Beschäftigten der SATS sind Weiße, während in den meisten Industriebetrieben sechs schwarze auf einen weißen Arbeiter kommen.
Zudem gehören die weißen Eisenbahnarbeiter zu den rassistischsten Gruppen der südafrikanischen Gesellschaft. Täglich käme es in den Arbeitsgruppen zu Übergriffen weißer Vorarbeiter auf Schwarze, versichert Taai.
Die lange Dauer des Streiks hat die Gewerkschaftskassen belastet und die Solidarität der Dorfgemeinschaften auf eine harte Probe gestellt. Die meisten Mitglieder der SARHWU stammen aus ländlichen Gebieten, haben ihre Familien zu Hause gelassen und leben auf engstem Raum in einfachen Unterkünften.
Sisa vertraut darauf, daß die Freunde und Nachbarn in der Transkei ihr Essen solange wie möglich mit seiner Frau und den Kindern teilen werden. Ein ähnlicher Gemeinschaftsgeist herrscht auch bei den Streikenden vor, erklärt Taai, selbst ein früherer Eisenbahnarbeiter. Niemand von ihnen habe noch Geld. Sie kämen zu Treffen in den Büros der Gewerkschaft und sammelten Brot, Teebeutel würde die Gewerkschaft zur Verfügung stellen.
„Dann teilen sie die Brotstücke auf und spülen sie mit bitterem Schwarztee hinunter“, beschreibt Taai das tägliche Überleben der Arbeiter. Auch die Angestellten der Gewerkschaft leiden gemeinsam mit den Streikenden: Ihre Löhne werden von den Beiträgen der Mitglieder gezahlt, und da diese ausfallen, gibt es auch kein Geld für die Funktionäre.
Die beschränkten Ressourcen der verarmten Dorfgemeinschaften können aber nicht endlos beansprucht werden. Viele denken daran, ihre Ziegen zu verkaufen, erzählt Sisa.
Wenn der Arbeitskampf nicht bald beigelegt werde, würden sie auch ihre Kinder nicht mehr in die Schule schicken können. Auf Seiten der SATS erreichen die Verluste durch Sabotage inzwischen rund 40 Millionen Rand, etwa 16 Millionen US-Dollar, und die Zahl der verlorenen Arbeitstage stieg von 1,5 Millionen im Vorjahr auf drei Millionen 1989.
Eddie Koch
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