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DDR wäre Vorzugsbehandlung durch die EG sicher

■ Vor allen anderen könnte der ostdeutsche Staat der Gemeinschaft beitreten - Pluralistische Demokratie und Marktwirtschaft Bedingungen

Brüssel (ap) - Wenn sich die DDR nach den Wahlen am 6. Mai für eine demokratische Staatsform mit marktwirtschaftlicher Ordnung entscheiden sollte, ist ihr die Mitgliedschaft in der Europäischen Gemeinschaft vor allen anderen Mitbewerbern sicher. So werden von Brüsseler Diplomaten jüngste Äußerungen von EG-Kommissionspräsident Jacques Delors interpretiert, der die DDR am Wochenende erstmals öffentlich als „potentielles Mitglied“ der Gemeinschaft bezeichnet hatte. Originalton Delors: „Tatsache ist, daß die EG für eine auf der Grundlage der freien Selbstbestimmung handelnde DDR offen ist.“

Die in Aussicht gestellte Vorzugsbehandlung der DDR wird mit der Sonderstellung begründet, die der ostdeutsche Staat seit Inkrafttreten der EG-Verträge im Verhältnis zur Gemeinschaft innehat. In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf das Protokoll zum innerdeutschen Handel und auf die von den anderen Mitgliedstaaten akzeptierte Erklärung Bonns über die Bestimmung des Begriffs „deutscher Staatsangehöriger“ verwiesen. So ist die DDR wegen des zollfreien innerdeutschen Warenverkehrs im Bereich des Handels schon jetzt „graues“ EG-Mitglied, und zudem sind die Bewohner der DDR auch für die anderen EG-Mitgliedstaaten rechtlich Deutsche im Sinne des Grundgesetzes und damit bereits potentielle EG-Bürger.

Die Mitgliedschaft der DDR in der EG könnte nach diesen Denkmodellen im Rahmen des „Anwachsens“, also im Verlauf einer Föderation oder Vereinigung beider deutscher Staaten, erfolgen oder sich als Beitritt eines 13. Mitgliedstaates vollziehen. Allerdings betrachtet die EG es nicht als ihre Aufgabe, die Einheit Deutschlands herbeizuführen. Dies müsse dem KSZE-Prozeß vorbehalten bleiben, heißt es. Sicher sei jedoch, daß die Zugehörigkeit des ostdeutschen Staates zur EG noch vor den Beitrittswünschen der Antragsteller Türkei und Österreich sowie anderer möglicher Bewerber wie Norwegen, Finnland, Malta, Marokko oder Zypern verwirklicht werden könnte.

DDR und BRD sollen eingebunden werden

Von Experten in Brüssel wird der Vorstoß des EG -Kommissionspräsidenten als gezielter Versuch bezeichnet, beide Deutschlands - ob getrennt oder vereint - politisch in die Europäische Gemeinschaft einzubinden. Delors verspreche sich davon zum einen den Vorteil, daß der Bildung eines isolierten, von vielen Nachbarn gefürchteten neuen „Großdeutschlands“ ein Riegel vorgeschoben würde. Zum anderen könnte die DDR als Mitglied der EG ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten schneller überwinden.

Wann die Vision einer um die DDR erweiterten Europäischen Gemeinschaft verwirklicht wird, weiß in Brüssel zur Zeit noch niemand. Als wahrscheinlich gilt, daß darüber erst nach Abschluß der in diesen Tagen beginnenden Verhandlungen über ein Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der EG und der DDR gesprochen wird, also erst von Mitte dieses Jahres an. Und die meisten Eingeweihten in Brüssel rechnen damit, daß zunächst ein Assoziationsvertrag zwischen der DDR und der EG angestrebt wird, ehe es zu einer Vollmitgliedschaft kommt.

Mit großer Spannung jedenfalls beobachtet die EG derzeit die Entwicklung in der DDR. Die Beobachter fragen sich, welche Parteien dort nach dem 6. Mai das Sagen haben werden, ob es gar eine mächtige Mehrheit für eine Vereinigung beider deutschen Staaten geben wird. Noch sind Brüsseler Amtsstuben auf solche Szenarien nicht vorbereitet, aber es wird auch für diesen Fall an Denkmodellen gearbeitet.

Das extremste, freilich unwahrscheinlichste Planspiel geht davon aus, daß die DDR ohne jegliche Beitrittsverhandlungen Mitglied der EG werden könnte - allein durch einen vollständigen wirtschaftlichen Anschluß an die Bundesrepublik im Rahmen der von beiden deutschen Regierungen befürworteten Vertragsgemeinschaft. Notwendig wäre dann aller Voraussicht nach eine Änderung der Römischen Verträge, die sich die Bundesrepublik allerdings bereits 1957 für den Fall aller Fälle bereits vorbehalten hat. In einer Protokollerklärung zum EG-Vertrag heißt es: „Die Bundesregierung geht von der Möglichkeit aus, daß im Falle der Wiedervereinigung Deutschlands eine Überprüfung der Verträge über den Gemeinsamen Markt und Euratom stattfindet.“

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