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„Kein Job wie beim Geflügelzuchtverein“

■ Zehn Jahre Grüne und kein Grund zu feiern / Interview mit Jürgen Frömmrich, Landesvorstandsmitglied der hessischen Grünen, zur desolaten Lage der Partei in Hessen und im Bund und den Perspektiven, aus der Misere herauszukommen

taz: Läßt man die letzten beiden Parteitage der hessischen Grünen Revue passieren, bleibt der Eindruck haften, daß an einer vom Landesvorstand für unumgänglich erachteten Strukturreformdebatte kein Mitglied auch nur das geringste Interesse hat. Euer Vorschlag, einen Parteirat einzurichten, der den vertikalen und horizontalen Informationsfluß gewährleisten sollte, ist im Dezember in Rüsselsheim abgeschmettert worden. Wie geht es jetzt weiter?

Jürgen Frömmrich: Wir haben in Hessen - unabhängig von dem Parteirat - eine Strukturkommission eingerichtet. Das Problem ist nur, daß die Debatte um die notwendige Strukturreform der Partei eben nur in dieser Kommission geführt wird, nicht aber in den Kreis- und Ortsverbänden. Die aktiven Mitglieder der Partei sind in der Kommunalpolitik engagiert. Das sind in der Regel gute Leute. Doch es gibt keine Rückkoppelung mit der Landes- oder Bundespolitik. In die überregionalen Gremien der Partei auf Landesebene werden dann Mitglieder gewählt, die noch kein Amt auf der kommunalen oder auf der Kreisebene haben. Da können zufällig auch gute Leute dabei sein. Doch normalerweise sind das nicht die Meinungsführer in den Kommunen oder Kreisen. Mit der Einrichtung des Parteirates wollten wir alle politischen Ebenen zusammenfassen und gerade diese Meinungsführer an der kommunalen Basis in die Entscheidungsprozesse auf der Landesebene einbinden. Das wäre der erste Schritt hin zu einer umfassenden Reform der Partei und zur Erarbeitung einer den aktuellen politischen Verhältnissen angepaßten Programmatik. Doch leider ist das zur Zeit kein Debattenthema in den Kreis- und Ortsverbänden.

Das Ganze ist ein von den Grünen seit Jahren verschlepptes Problem, mit dem die anderen Parteien aufgrund ihrer hierarchischen Strukturen nicht zu kämpfen haben. Die aktiven Mitglieder in den Kreis- und Ortsverbänden engagieren sich selbstverständlich in ihren Kommunen und Landkreisen. Die gehen in die Gemeinde- und Kreisparlamente, werden Beigeordnete oder übernehmen andere Funktionen in politischen Gremien. Die wenigen Leute, die dann noch übrigbleiben, organisieren den Landesverband, die Partei. Und dieser Rest an Leuten, der stellt unter anderem auch diesen Landesvorstand, dem ich angehöre. Das ist ein Gremium, das einmal auf irgendeinem Landesparteitag gewählt wurde. Doch im Grunde interessiert es keinen Menschen, was die eigentlich machen. Denn dort sitzen nicht die exponierten Grünen drin. Die haben für den Landtag oder für den Bundestag kandidiert. Und die sitzen als Dezernenten in den Städten und Landkreisen, die Rot-Grün regiert werden. Die stehen selbstverständlich für die Arbeit im Landesvorstand nicht zur Verfügung.

Ist das Amt des Landesvorstands nicht auch aus finanziellen Gründen mehr als unattraktiv für grüne Prominente?

Das ist richtig. Man verlangt von einem Landesvorstand, daß er professionell arbeitet, daß er den Laden in Schwung hält, daß er die gesamte Parteiarbeit macht und damit politische Verantwortung trägt. Und bezahlt werden die Vorstandsmitglieder auf Bafög-Niveau. Wir sind alle noch berufstätig. Die Landesvorstandsarbeit muß deshalb in der Regel nach 18 Uhr stattfinden - ein Wahnsinn, den sich keine andere Partei leistet. Wenn man will, daß dieser Landesvorstand professionell arbeitet, daß er von der politischen Gewichtung her etwa mit der Landtagsfraktion, die er ja kontrollieren soll, mithalten kann, dann muß man diese Landesvorstandsposten - zumindest die entscheidenden Positionen wie VorstandssprecherIn und SchatzmeisterIn auch entsprechend dotieren. Das ist doch kein Job wie beim Vorstand eines Geflügelzuchtvereins.

Stellt sich da - aufgrund der dünnen Personaldecke - nicht auch die Frage nach der Aufhebung des Dogmas Trennung von Amt und Mandat?

Das hat die Grünen immer ausgezeichnet, daß im Gegensatz zu allen anderen Parteien bei uns eine Machtbeschneidung stattfindet. Ich meine, daß das damals - als diese Satzung entworfen wurde - eine durchaus legitime Beschlußfassung war. Ich finde das immer noch richtig. Deshalb müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß man dieses Prinzip durchhalten kann. Und da wäre ein erster Schritt zum Fortschritt tatsächlich die Professionalisierung des Landesvorstandes.

Auf der kommunalen Ebene und auf Kreisebene ist - mangels Masse - diese Trennung von Amt und Mandat ohnehin längst Makulatur geworden. Da gibt es Leute, die sind im Kreisvorstand, im Kreistag und die sitzen auch noch in irgendeinem Kommunalparlament. Die Debatte um die Aufhebung der Trennung von Amt und Mandat tangiert lediglich die Landes- und die Bundesebene. Und da drückt sich die Partei vor einer Entscheidung.

Wie genau wollt ihr denn jetzt die Basis in die Pflicht nehmen, damit notwendige Veränderungen an der Struktur der Partei auch eingeleitet werden können? Mit resignativen Feststellungen über Desinteressiertheit und mangelnder Entscheidungsfreude dürftet ihr die Partei kaum noch zu Aktivitäten provozieren können.

Mal vom Desinteresse an der Basis abgesehen: die Idee des Parteirates ist von den Beigeordneten in den Kommunen und Landkreisen aber auch von den Landtagsabgeordneten positiv aufgenommen worden. Jetzt käme es natürlich darauf an, diese Debatte auch in der Partei zu führen. Und da ist diese Partei eben einfach etwas träge. Es hat sich auf der Orts und Kreisebene eine gefährlich zufriedene Stimmung breitgemacht. Man sonnt sich in vergangenen kommunalpolitischen Erfolgen und merkt nicht, wie sich Politik, wie sich die Ansprüche an die Politiker verändert haben. Auf der Bundesebene haben wir das gleiche Problem. Die Bundestagsfraktion ist doch zur Zeit ein Totalausfall von Ausnahmen abgesehen. Wir Hessen stehen bislang bundesweit alleine da mit unserem Versuch, eine Strukturreformdebatte anzuleiern.

In diesem Jahr gibt es mehrere Landtagswahlen und als „Krönung“ dann die Bundestagswahl. Ende Januar wird im Saarland schon gewählt - und die Grünen sind noch immer auf Tauchstation...

Das ist in der Tat ein unmöglicher Zustand. Es gibt bislang keinerlei Vorbereitungen für diesen Bundestagswahlkampf. Der Bundesvorstand hat es noch nicht einmal für nötig befunden, die Landesvorstände einzuladen, um über die Gestaltung des Bundestagswahlkampfes zu reden. Es gibt zwar Debatten im Bundeshauptausschuß. Doch dort diskutieren eben Leute, die zum großen Teil weder in die Landesvorstände noch in die Fraktionen eingebunden sind. Doch die müssen schließlich die Wahlkämpfe organisieren und koordinieren. Auch da haben wir Hessen den Vorteil, daß wir zwei Leute aus dem Landesvorstand im Bundeshauptausschuß haben. Doch das ist die Ausnahme, nicht die Regel. Ein ausgezeichneter Organisator wie Jürgen Engel (Ex-MdL Hessen, die Redaktion), der ist als Wahlkampfkoordinator vom Bundesvorstand ausgebootet worden - aus strömungspolitischen Gründen.

Muß man nicht - wenn man die Partei wirklich retten will bei den Grünen Organisations- und Entscheidungsstrukturen wie bei den anderen Parteien auch installieren? Also etwa Landesparteitage nach dem Delegiertenprinzip beschicken und die Entscheidungskompetenzen klar definieren und abgrenzen? Es kann doch nicht länger angehen, daß - wie in Rüsselsheim geschehen - nur knapp 200 Mitglieder von 5.000 mehr gelangweilt als engagiert Grundsatzentscheidungen für die Partei fällen.

Auf der Bundesebene gibt es ja Delegiertenversammlungen. Und da schrammt man immer knapp an der Beschlußunfähigkeit vorbei. Der Landesverband Baden-Württemberg hatte das einmal eingeführt, doch nach mehrfacher Beschlußunfähigkeit dann die Satzung wieder geändert.

Steckt in dieser Desinteressiertheit, dieser Disziplinlosigkeit - oder ist es schlicht apolitisches Verhalten? - der Mitglieder nicht das zentrale Problem der Partei?

Im Laufe der Jahre hat sich natürlich auch Frustration breitgemacht. Mitglieder reisen an zu Landesparteitagen oder Bundesdelegiertenkonferenzen mit dem Gefühl, daß ohnehin schon alles gesagt und entschieden wurde. Die ehemals vielgepriesene Debattenkultur ist verkommen. Wenn zu dem Rüsselsheimer Parteitag, auf dem die Deutschlandpolitik der Partei diskutiert werden sollte, knapp 200 Leute kamen und die sich noch kaum an der Debatte beteiligten, ist das nur noch blamabel. Dabei leben wir in Zeiten, in denen es notwendig wäre, neue politische Ziele zu formulieren. Man muß jetzt etwas machen, damit diese Partei endlich wieder lebendig diskutiert.

Aber was?

Wir müssen etwas rüberkriegen von dieser politischen Aufbruchstimmung in die DDR. Das muß sich auf die Partei hier übertragen. Zur Zeit werden auch auf der Bundesebene alle Konflikte zugedeckelt. Man hat einen flügelübergreifenden Bundesvorstand. Doch von den Flügeldebatten hat die Partei immer profitiert. Da wurde zumindest lebhaft diskutiert. Das ist heute nicht mehr der Fall. Das gilt auch für die Fraktionsführung. Es kommt zwar damit auch kein Streit mehr in die Öffentlichkeit, aber auch nicht mehr das für die Partei befruchtende Element des Debattenanreißens. Da herrscht - von einzelnen Exponenten abgesehen - Grabesstimmung. Symptomatisch für diesen Zustand war der Perspektivenkongreß. Da waren wir zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort mit dem richtigen Thema. Aber was hat die Partei gemacht? Anstatt eine neue Linie in der Europa- und Deutschlandpolitik und neue Standards in der Sozial- und Ökologiepolitik zu entwickeln, beschäftigte man sich zwei Tage lang mit der Frage, wie der Sozialismus noch zu retten sei.

Wie aber ist denn jetzt die Partei noch zu retten? Bis auf den Vorschlag der Einrichtung von Strukturkommissionen scheint sich auch bei euch die Ratlosigkeit und die Verärgerung über den Istzustand der Partei etabliert zu haben.

Wir Grüne müssen endlich aufhören, uns permanent selbst auf die Füße zu treten. NRW ist da das klassische Beispiel. Die hatten in der Bundestagsfraktion eine hervorragende personelle Ausstattung: Antje Vollmer, Otto Schily, Eckhard Stratmann - die hatten und haben in bestimmten Bevölkerungskreisen ein hohes Ansehen. Und dann gibt es bei der Listenaufstellung eine unselige Koalition zwischen Realpolitikern und Fundamentalisten, um die eigenen Karrieregelüste zu befriedigen, und man sägt via Rotationsprinzip die besten Leute ab. Und natürlich fragen sich jetzt Wählerinnen und Wähler, warum die Grünen einen Mann wie Otto Schily nicht in der Partei halten konnten. Das gleiche gilt für andere Landesverbände wie etwa Niedersachsen. Die haben die Schoppe rausgedrängt. Damit verliert man exponierte Leute, die auch mit den Medien umgehen, die Debatten inszenieren konnten. Da muß die Partei praktisch wieder bei Null anfangen. Das muß jetzt aufhören, denn Politik wird nach wie vor von Personen gemacht oder transportiert. „Graue Mäuse“ werden nur selten gewählt, auch wenn ihr Programm noch so gut ist. Doch selbst an der Programmatik hapert es zur Zeit bei den Grünen. Wir hatten in vielen Politikfeldern eine Vorreiterrolle - Ökologie Frieden - Soziales. Und diese Vorreiterrolle müssen wir zurückerobern, wenn wir nicht untergehen wollen. Wir Hessen werden mit diesem Erneuerungsprozeß anfangen - als Impulsgeber für andere Landesverbände und letztendlich auch für die Bundespartei. Wir werden diesen Parteirat einführen, Kongresse und Diskussionsforen vorbereiten und den Landesvostand professionalisieren. Wir werden sehen, ob das funktioniert. Wenn nicht...?

Das Gespräch führte Klaus-Peter Klingelschmit

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