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PLATZENDE PERESTROIKA

■ „Die Fontäne“ im Kino am Steinplatz

Daß Risse in Hauswänden, einstürzende Zimmerdecken und herabfallender Putz Anlaß geben können zu großartigen Filmgrotesken, ist spätestens seit dem Film Blaue Berge des georgischen Regisseurs Shengelaia bekannt. Damals waren es die korrupten Machenschaften innerhalb eines georgischen Verlagsbetriebes, wofür die Baufälligkeit des Gebäudes Parabel stand. In der neuen Filmkomödie des sowjetischen Regisseurs Yuri Mamin Die Fontäne sind es nicht mehr in erster Linie die Unzulänglichkeiten und Überalterungen des poststalinistischen Systems, die das Gesamtgefüge aus allen Nähten platzen lassen, sondern Risse und Sprünge ziehen sich bereits durch die Umstrukturierung und Neugestaltung hindurch. Was sich gesellschaftlich alles als perestroisch ausgeben und je nachdem unter die bekannten wechselnden Vorzeichen subsumieren läßt, zeigt der Film anhand eines Wasserrohrbruchs im kirgisischen Alma Ata auf.

Am Anfang eines Wasserlaufs liegt eine Quelle: Ein kirgisischer Nomade, der mit seinem Nomadenstamm an einer solchen lagert, ist gezwungen, den Ort zu verlassen, weil durchreisende sowjetische Lastwagenfahrer die Quelle gesprengt haben. So begibt sich der traditionsbewußte Wünschelrutengänger und Moslem nach Alma Ata zu seiner Tochter. Rolltreppenunerfahren bekommt er auf dem Flughafen fast einen Herzinfarkt, die Ballettdarbietung im Fernsehen verbietet er wegen der „unbekleideten Frauen“, seine Tochter muß getrennt von den Männern zu Abend essen, ihr russischer Ehemann, der die Hauswartsstelle innehat, und ihr Sohn greifen sich schon bald an den Kopf und beschließen, den Alten in der Rolle des Hausklempners unschädlich zu machen. Der aber dreht aufgrund seines Quellentraumas das leckgewordene Wasserversorgungssysem des Hauses einfach ab und verbarrikadiert sich im Wasserkeller, so daß niemand mehr an den Haupthahn herankommen kann. Der Versuch, die Kellertür einzurammen, bringt das Haus an den Rand der Einsturzgefahr. So macht der Kollege des Hauswarts aus der Not eine Tugend: Um der drohenden entlassung wegen mangelnder Pflichterfüllung gegenüber der Hausgemeinschaft beim Bezirkssekretär zuvorzukommen, wird die fehlende Wasserversorgung als Energiesparexperiment im Sinne der Perestroika umdefiniert und der Hauswart, der mit seinen eigenen Schultern mittlerweile auch das einstürzende Dach stützen muß, zu einem verdienten Aktivisten erklärt.

Das Chaos kulminiert schließlich im sechsten Satz des siebensätzigen Musikgebildes: Der Hauselektriker, der ebenfalls den Ehrentitel eines Aktivisten erhalten möchte, zerstört das Stromversorgungssystem. Ohne elektrische und Wasserwärme frieren aber nicht nur die Leute, sondern erfrieren beispielsweise auch die Tulpen der in einer Wohnung angelegten Großtulpenzucht. Der verzweifelte Blumenzüchter zwingt seine Frau, die Tulpen unter der Hand in Metrostationen zu verkaufen, wo sie schließlich wegen persönlicher Bereicherung festgenommen wird. Bei einem mit ihr geführten Fernsehinterview gibt sie schließlich die bekannte realsozialistische Rechtfertigung: „Wir haben das nur getan, um Geld für eine eigene Wohnung zusammenzubekommen.“ Ihr Zusammenbruch im Fernseher ist das Äquivalent zum Kollaps des Hausbetriebs.

Mit einem Deus ex machina kommt das Fiasko im Handumdrehen doch noch zum Happy-End: Irgendwelche Funktionäre reisen in schwarzen Limousinen an, der Alte verläßt den Wasserkeller, weil er die Hausbewohner rund um ein Lagerfeuer singen und tanzen sieht, der Elektriker setzt die Elektrik wieder in Gang, so daß der seit Jahren funktionsuntüchtige Aufzug losschießt und mit dem Alten zu einer Himmelfahrt durch das Loch im Dach ansetzt.

Neben den burlesken und surrealistischen Elementen wie dem des „Fiedlers on the roof“, der gleichzeitig ein Drachenflieger vom Schornstein und ein verschrobener Komponist ist, und vielen satirischen Einblicken in sowjetische Idiosynkrasien, wie die hysterisch-abgöttische Verehrung eines Dichters, dessen Sterbezimmer auch posthum nicht renoviert werden darf, weil er die Tapeten mit Poemen vollgekritzelt hat, durchzieht den Film vor allem die Frage: Wer ist der eigentliche Perestroiker? Derjenige, der sich wie der Hauswart krummlegt für die Instandsetzung des Hauses und, wie ihm sein Kollege vorwirft, durch seine Flickschusterei nur das marode System am Funktionieren hält, oder er selbst, der absahnt und sich bereichert, damit aber die Mängel des Systems schneller ans Tageslicht bringt? Sicher ist nur, daß es als Antwort hierauf in der Realität keinen Deus ex machina geben wird.

Michaela Ott

„Die Fontäne“ von Yuri Mamin ab heute im Kino am Steinplatz, jeweils 20.30 Uhr.

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